Freigabe

Hintergrund

Mit der Novellierung der Strahlenschutzverordnung im Jahr 2001 (modifiziert 2011) wurde die Freigabe radioaktiver Abfälle unterhalb bestimmter Grenzwerte bundeseinheitlich geregelt und signifikant ausgeweitet. Radioaktive Abfälle, die gering kontaminiert sind, werden "freigemessen" und anschließend "frei gegeben". Durch die   Freigabeentscheidung sind sie keine radioaktiven Stoffe im Sinne des Atomgesetzes mehr. Je nach Klassifizierung können Stoffe uneingeschränkt oder zur Beseitigung freigegeben werden. Bei einer uneingeschränkten Freigabe gibt es keine Festlegungen bezüglich der künftigen Nutzung, Verwendung, Verwertung, Wiederverwertung, Beseitigung oder dem endgültigen Verbleib der Stoffe. Bei einer Freigabe zur Beseitigung müssen die Stoffe auf einer Deponie gelagert oder verbrannt werden. Eine Verwertung oder Wiederverwendung außerhalb einer Deponie oder Verbrennungsanlage sowie der Wiedereintritt der Stoffe in den Wirtschaftskreislauf muß ausgeschlossen sein. Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Massen an radioaktiven Abfällen infolge der anstehenden Rückbauprojekte in den nächsten Jahren ist eine flächendeckende Verbreitung uneingeschränkt freigegebener radioaktiver Stoffe sowie eine Konzentration auf den Hausmülldeponien zu erwarten.

Freigabe in den Mitgliedstaaten der EU

Ebenso wie es keine einheitliche Klassifizierung radioaktiver Abfälle gibt, gibt es auch keinen einheitlichen Umgang mit gering radioaktiven Reststoffen und Abfällen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Während einige Länder wie die Bundesrepublik Deutschland gering strahlende radioaktive Abfälle aus dem Atomgesetz entlassen und als konventionelle Stoffe weiter behandeln, deponieren andere Staaten wie Frankreich und Spanien diese Abfälle in eigens dafür errichteten Oberflächenlagern.

Ebenso wie es keine einheitliche Klassifizierung radioaktiver Abfälle gibt, gibt es auch keinen einheitlichen Umgang mit gering radioaktiven Reststoffen und Abfällen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Während einige Länder wie die Bundesrepublik Deutschland gering strahlende radioaktive Abfälle aus dem Atomgesetz entlassen und als konventionelle Stoffe weiter behandeln, deponieren andere Staaten wie Frankreich und Spanien diese Abfälle in eigens dafür errichteten Oberflächenlagern.

Klassifizierung gering strahlender Abfälle

Die IAEA unterscheidet bei den sehr gering strahlenden Abfällen zwischen Exempt waste (EW) und very short lived waste (VSLW) [1]

Exempt waste (EW): Abfälle dieser Kategorie sollen laut IAEA aus dem Geltungsbereich atomrechtlicher Vorschriften entlassen und konventionell genutzt oder beseitigt werden. Die Obergrenze für die Strahlenexposition der Bevölkerung aus der Deponierung des Materials dieser Kategorie beträgt 10 μSv/Jahr. Je nach Radionuklid entspricht dies laut IAEA einer Aktivität zwischen 0,01 Bq/g und 104 Bq/g.

Very short lived waste (VSLW): Abfälle dieser Kategorie können für eine begrenzte Zeit zur Abklinglagerung, um anschließend aus dem Geltungsbereich atomrechtlicher Vorschriften entlassen und konventionell genutzt oder beseitigt zu werden. Abfälle dieser Kategorie stammen oft aus Forschung oder Medizin. In der Regel handelt es sich dabei um Abfälle mit einer Halbwertszeit unter 100 Tagen (Beispiel: Iridium 192 – 73,831 Tage Halbwertszeit; Technecium 99m – 6,01 Stunden Halbwertszeit). Tatsächlich sieht die IAEA aber keine strikte Definition vor, sondern macht die Einteilung abhängig von einer akzeptablen Menge der im jeweiligen Abfall gleichzeitig vorhandenen langlebigeren Radionuklide, von der Eingangsmenge der kurzlebigen Radionuklide und der jeweils geplanten Dauer der Abklinglagerung

Die Europäische Union trifft eine ähnliche Unterscheidung: [2]

Unter Kategorie 1 definiert sie Materialien, die einer Entsorgung zugeführt werden können, die nicht der atomrechtlichen Aufsicht unterliegt. Mit der Richtlinie 2013/59/Euratom [3] wurden die Freigabewerte der IAEA (10 μSv/Jahr) auch für die EU übernommen.

Und in Kategorie 2 für Materialien für die ein spezielles Entsorgungsverfahren erforderlich ist, definiert sie die Klasse Radioaktive Abfälle in der Übergangsphase. Dazu zählt sie radioaktive Abfälle (vorwiegend aus der Medizin), die während der Zwischenlagerung abklingen und die dann, sofern die Freigabegrenzen erreicht werden, einer Entsorgung zugeführt werden können, die nicht der atomrechtlichen Aufsicht unterliegt.

Die Mitgliedstaaten sind an diese Definitionen jedoch nicht gebunden. In der Bundesrepublik Deutschland werden radioaktive Abfälle aus der Kategorie 1 und aus der Klasse Radioaktive Abfälle in der Übergangsphase aber auch Radionuklide mit längeren Halbwertszeiten aus der IAEA-Kategorie Very long lived waste freigeben, sofern sie bestimmte in der Strahlenschutzverordnung festgelegte Werte unterschreiten. [4] 

In Ungarn übersteigt die durch die Freigabe von gering radioaktiven Stoffen zulässige Strahlenbelastung von 30 µSv/a die von IAEA und EU als vernachlässigbar angesehene Dosis von 10 µSv/a. [5]

Diese unterschiedliche Handhabung der gering strahlenden radioaktiven Abfälle führt zu beträchtlichen Bedenken bei einigen Mitgliedstaaten: „Die Tatsache, dass die Freigabewerte für radioaktive Abfälle in der EU nicht harmonisiert sind, kann dazu führen, dass radioaktive Stoffe enthaltendes Material in einem Mitgliedstaat aus der behördlichen Kontrolle entlassen wird, während es in einem anderen Mitgliedstaat noch als radioaktiver Abfall eingestuft würde. [6] 

Übersicht über die Freigabepraxis in den Mitgliedstaaten

Diese Übersicht gründet sich auf die Studie von Wolfgang Neumann (INTAC Hannover) "Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Europäischen Union: Wachsende Mengen und keine Lösung". [7] Andere Quellen sind extra aufgeführt.

Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Litauen, Niederlande, Tschechien, Ungarn: Sehr schwach radioaktive Abfälle werden zur Beseitigung oder Weiterverwendung freigegeben. Angaben über Mengen und Verbleib der Abfälle werden nicht gegeben.

Bulgarien: Sehr schwach radioaktive Abfälle sollen später freigegeben werden.

Finnland: Sehr schwach radioaktive Abfälle werden in das Meer (flüssige Abfälle) bzw. auf konventionellen Deponien beseitigt oder wiederverwendet. In Olkiluoto befindet sich eine entsprechende Deponie auf dem Kraftwerksgelände. In Loviisa wird auf einer externen Deponie entsorgt.

Frankreich: „In Frankreich wird die Möglichkeit der Freigabe für die Mehrzahl der anfallenden Reststoffe aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt. Nur im Ausnahmefall ist eine Freigabe von gering radioaktiven Abfällen möglich. Sie darf aber in keinem Fall eine Wiederverwertung in Konsumprodukten oder Bauwerken zur Folge haben. Meist wird sie nur für erneute kerntechnische Anwendungen zugelassen. Darüber hinaus gilt in Frankreich für die Stilllegung, dass alle Materialien, die im Kontrollbereich waren, als radioaktiver Abfall entsorgt werden müssen [BRÖSKAMP2012].

In Frankreich wurde die neue Kategorie „sehr schwach radioaktive Abfälle“ geschaffen und ein eigenes Entsorgungskonzept entwickelt [ANDRA2009]. Die gering radioaktiven Abfälle werden ähnlich den schwach- und mittelradioaktiven Abfällen in einem oberflächennahen Endlager eingelagert. Die sicherheitstechnischen Anforderungen zur Konditionierung der Abfälle und zur Abdichtung des Endlagers gegen die Umwelt sowie der Aufwand für Überwachungsmaßnahmen zur Rückhaltung der Radionuklide sind jedoch geringer.“ [8] Oberflächen-Endlager in Morvelliers 89.331 m³.

Großbritannien: Sehr schwach radioaktive Abfälle werden in Abhängigkeit von deren Menge auf überwachte oder nicht überwachte konventionelle Deponien verbracht.

Rumänien: Keine Angaben

Schweden: Sehr schwach radioaktive Abfälle werden entweder in Oberflächenendlagern an den AKW-Standorten bzw. an der Konditionierungsanlage in Studsvik endgelagert oder zur beliebigen Weiterverwertung sowie zur Ablagerung auf einer konventionellen Deponie freigegeben. Gnehemigte Kapazitäten der Deponien in Forsmark 17.000 m³, Ringhals 10.000 m³, Oskarshamn 10.000 m³ und Studsvik 1.540 m³.

Slowakei: Die geringfügig radioaktiven Abfälle wurden bisher offenbar wie die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle behandelt. In Zukunft ist geplant, hier eine Aufteilung vorzunehmen in Abfälle, die freigegeben werden können und solche, die in ein eigenes Endlager mit geringeren Sicherheitsanforderungen verbracht werden können. [9]

Slowenien: Sehr schwach radioaktive Abfälle werden unter Festlegung der Verwendung freigegeben.

Spanien: Sehr schwach radioaktive Abfälle werden in einem Oberflächenendlager mit verminderten Sicherheitsanforderungen in Cordoba endgelagert.

Quellen

[1] IAEA Safety Standards for protecting people and the environment: Classification of Radioactive Waste, General Safety Guide No. GSG-1, Wien 2009

[2] Empfehlung der Kommission vom 15. September 1999 für ein Klassifizierungssystem für feste radioaktive Abfälle (1999/669/EG, Euratom)

[3] Richtlinie 2013/59/EURATOM des Rates vom 5. Dezember 2013 zur Festlegung grundlegender Sicherheitsnormen für den Schutz vor den Gefahren einer Exposition gegenüber ionisierender Strahlung und zur Aufhebung der Richtlinien 89/618/Euratom, 90/641/Euratom, 96/29/Euratom, 97/43/Euratom und 2003/122/Euratom

[4] Umweltbundesamt Österreich: „SUP Nukleare Entsorgungsprogramme - Nationales Entsorgungsprogramm Deutschland, Fachstellungnahme“, Wien 2015

[5] Umweltbundesamt Österreich: „SUP Nukleare Entsorgungsprogramme - Nationales Entsorgungsprogramm Ungarn, Abschließende Fachstellungnahme und Konsultationsbericht“, Wien 2016

[6] Bericht der Kommission an das europäische Parlament, den Rat und den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Durchführung der Richtlinie 2006/117/Euratom des Rates über die Überwachung und Kontrolle der Verbringung radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente durch die Mitgliedstaaten {SWD(2013) 150 final}, 25.04.2013

[7] Wolfgang Neumann: „Umgang mit radioaktiven Abfällen in der Europäischen Union: Wachsende Mengen und keine Lösung“, Hannover, Oktober 2010

[8] BUND: „Stellungnahme zu Defiziten der Regelung von Freigaben radioaktiver Stoffe in der Bundesrepublik Deutschland“, Auftragnehmer Wolfgang Neumann, INTAC Hannover, Hannover Oktober 2013

[9] Umweltbundesamt Österreich: „Entsorgungsstrategie Slowakische Republik - Fachstellungnahme zur Strategischen Umweltprüfung“, Wien 2008