Kosten

Hintergrund

Die finanziellen Lasten für die sichere Verwahrung der radioaktiven Abfälle sind derzeit nicht belastbar zu beziffern. So lange es kein technisch-naturwissenschaftliches Konzept gibt, wie und wo die radioaktiven Abfälle dauerhaft sicher gelagert werden können, können die Kosten der Endlagerung auch nicht abgeschätzt werden. Die Erfahrung zeigt zudem: Alle finanziellen Prognosen der Atomwirtschaft müssen laufend nach oben korrigiert werden. Die finanziellen Risiken sind hoch.

Vor diesem Hintergrund haben die Atomkraftwerksbetreiber 2017 erreicht, dass sie nur noch für den Nach- und Restbetrieb und den Rückbau der Atomkraftwerke bis zur Verpackung der radioaktiven Abfälle und ihrer Ablieferung bei einem Endlager oder einem Zwischenlager, das von einem vom Bund beauftragten Dritten betrieben wird, finanziell verantwortlich sind. Alle finanziellen Risiken der weiteren Zwischenlagerung, Konditionierung, Transporte zwischen Lagern und Endlagerung konnten sie gegen Zahlung von pauschal 24,1 Mrd. Euro auf den Staat übertragen. Damit knüpft die Atomwirtschaft an die jahrzehntelange Praxis an, die öffentliche Hand für Forschungen, Haftungsrisiken, gescheiterte Projekte und Altlasten der Atomindustrie bezahlen zu lassen. 

Historie

Das deutsche System der Finanzierung von Stilllegung, Rückbau und sicherer Verwahrung der radioaktiven Abfälle der Atomkraftwerke war mindestens seit 1978 immer wieder in der Diskussion. Letztlich hat der Staat die Atomkraftwerksbetreiber im Laufe der Geschichte immer wieder begünstigt und nicht zuletzt durch das System der privatwirtschaftlichen Rückstellungsbildung ermöglicht, dass die heutigen großen Energiekonzerne entstanden sind, während die zentralen finanziellen Risiken vom Staat bzw. zukünftigen Generationen von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern übernommen werden müssen.

Historie der Finanzierung von Stilllegung, Rückbau und sicherer Verwahrung der radioaktiven Abfälle

Das deutsche System der Finanzierung von Stilllegung, Rückbau und sicherer Verwahrung der radioaktiven Abfälle der Atomkraftwerke ist mindestens seit 1978 immer wieder in der Diskussion. Dabei geht es vor allem um folgende Fragen: Ist die finanzielle Vorsorge für die zukünftig anfallenden Stilllegungs-, Rückbau-, Abfallmanagement-, Transport-, Zwischen- und Endlagertätigkeiten ausreichend, auch bei möglichen Kostensteigerungen oder vorzeitigen Anlagenstilllegungen? Wer darf wie über angesammelte finanzielle Mittel verfügen bis sie Jahrzehnte später für ihren eigentlichen Zweck benötigt werden? Inwieweit wird die finanzielle Vorsorge den Betreibern alleine überlassen oder aufgrund des staatlichen Interesses an einem sicheren Umgang mit dem radioaktiven Material im Interesse zukünftiger Generationen staatlich kontrolliert? Und inwieweit ist das finanzielle Vorsorgesystem für Bürgerinnen und Bürger transparent?

Rückstellungsbildung ermöglicht Wachstum der Atomkonzerne

Bis Mitte 2017 waren ausschließlich die Betreiber selbst für die Sicherstellung der Finanzierung verantwortlich. Sie wiesen die für Stilllegung, Rückbau und sicherer Verwahrung der radioaktiven Abfälle eingegangenen Verpflichtungen in ihren Bilanzen aus, d. h. sie bildeten sogenannte Rückstellungen, und konnten mit den Rückstellungsgegenwerten nach Belieben wirtschaften, so wie sie dies seit Juli 2017 weiterhin mit den Rückbaurückstellungen tun.

Da die Preisaufsichten der Bundesländer die Rückstellungszuführungen inhaltlich kaum wirklich prüfen konnten, wurden sie im Rahmen der Strompreisgenehmigungsverfahren vor der Liberalisierung der Energiemärkte 1998 i. d. R. als Kosten vollständig anerkannt. Damit gingen sie in die Preise der Stromkundinnen und Stromkunden ein. Mit den entsprechend erzielten Umsätzen hatten die Betreiber finanzielle Mittel zur Verfügung, denen keine Auszahlungen gegenüberstanden. Bis Ende 1998 waren es umgerechnet fast 37 Mrd. Euro, die die Betreiber nutzen konnten, um Firmen aufzukaufen, neue Geschäftsfelder zu erschließen, in weitere Großkraftwerke zu investieren und ihre Monopolstellung massiv auszubauen.

Fondsvorschläge, Steuerentlastungsgesetz und sogenannter Atomkonsens

Jede Zuführung zu den bilanziellen Rückstellungen stellt Aufwand dar und wirkt damit gewinnmindernd. Daher hatten die Finanzbehörden seit den 1970er Jahren immer wieder mal ein Auge auf die Rückstellungen geworfen. Mit dem Steuerentlastungsgesetz von 1999 beschloss der damalige SPD-Finanzminister Lafontaine einen Teil der Rückstellungen aufzulösen, um zusätzliche Steuereinnahmen zu realisieren, obwohl zu diesem Zeitpunkt klar war, dass die damals gebildeten Rückstellungen zur Finanzierung von Stilllegung, Rückbau und sicherer Verwahrung der radioaktiven Abfälle nicht ausreichen würden.

Damit verhinderte Lafontaine, dass Gesetzesentwürfe der Bundestagsabgeordneten Ursula Schönberger (damals Bündnis 90/Die Grünen) und Hermann Scheer (SPD) von 1997/98 verwirklicht werden konnten, die eine viel weitergehende Veränderung der finanziellen Vorsorge zum Ziel hatten. Die Gesetzentwürfe sahen in unterschiedlicher Ausgestaltung vor, die Rückstellungen der Atomkraftwerksbetreiber nach Schweizer Vorbild in einen öffentlich-rechtlichen Fonds zu überführen, und zwar ohne die Betreiber aus ihrer finanziellen Verantwortung zu entlassen. Nachschusspflichten sollten dies entsprechend sicherstellen. Ein juristisches Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit einer solchen staatlichen Fondslösung lag bereits vor.

Im sogenannten Atomkonsens vereinbarte die damalige rot-grüne Bundesregierung mit den Atomkraftwerksbetreibern dann im Jahr 2000, dass die Bundesregierung bis auf eine Erhöhung der Deckungsvorsorge keine einseitigen Maßnahmen ergreifen würde, die die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Atomkraftwerksbetreiber negativ beeinträchtigen. Dies zielte insbesondere auf die Verhinderung einer öffentlich-rechtlichen Fondslösung. Als dann noch im Jahr 2007 mehrere Stadtwerke, die 1999 gegen die von ihnen als wettbewerbswidrig angesehene Praxis des deutschen Rückstellungssystems Beschwerde eingereicht und 2001 geklagt hatten, vor dem Europäischen Gerichtshof scheiterten, schien das deutsche System der finanziellen Vorsorge - durch die Betreiber selbst und ohne staatliche Kontrolle, d. h. ohne ausreichende Finanzierungssicherheit - fest zementiert.

KFK und Entsorgungsfonds

Deutliche Rückgänge der von den Kraftwerken erzielbaren Stromgroßhandelspreise und Probleme im Aufbau neuer Geschäftsfelder führten ab 2011 aber zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der großen Stromkonzerne. Kreditratings verschlechterten sich und damit die Finanzierbarkeit von Investitionen in die Energiewende. Teile von Politik und Wirtschaft befürchteten, dass die hohen finanziellen Risiken des Systems der finanziellen Vorsorge mittels Rückstellungsbildung angesichts nicht abschätzbarer Endlagerkosten die Bilanzen der Konzerne zu sehr belasten könnten. Sie betonten die Gefahr der Insolvenz der Energiekonzerne, die die Energiewende verschlafen hatten. Vor diesem Hintergrund entstand der Vorschlag, vorhandene finanzielle Mittel der Betreiber in einen Fonds zu überführen und die Betreiber von den finanziellen Risiken zu enthaften.

Die Bundesregierung setzte daher im Jahre 2015 eine Kommission zur Überprüfung der Finanzierung der Kosten des Kernenergieausstiegs (KFK) ein, die im April 2016 vorschlug, die Betreiber gegen die Zahlung einer pauschalen Summe aus ihrer Finanzierungsverantwortung für die Verwahrung der radioaktiven Abfälle zu entlassen. Dieser Vorschlag wurde 2017 im Entsorgungsfondsgesetz umgesetzt, unterstützt durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen dem Staat und den Atomkraftwerksbetreibern, der vor möglichen zukünftigen Gesetzesänderungen schützen soll. Die Betreiber hatten keinerlei Probleme, alle geforderten Beträge in der Gesamtsumme von 24,1 Mrd. Euro am 03. Juli 2017 umgehend nach Gründung des Fonds auf die Konten der Stiftung einzuzahlen. Von einer Insolvenzgefahr war keine Rede mehr.

Begünstigung der Betreiber, finanzielle Risiken beim Staat

Letztlich hat der Staat die Atomkraftwerksbetreiber im Laufe der Geschichte immer wieder begünstigt und nicht zuletzt durch das System der privatwirtschaftlichen Rückstellungsbildung ermöglicht, dass die heutigen großen Energiekonzerne entstanden sind, während die zentralen finanziellen Risiken vom Staat bzw. zukünftigen Generationen von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern übernommen werden müssen. Da es für die Atomanlagen im öffentlichen Eigentum keine finanzielle Vorsorge gibt, gilt letzteres auch für diese Anlagen wie z. B. Forschungsreaktoren.

Links

Wolfgang Irrek: Ergebnisse KFK und_ihre_Folgen, Vortrag auf der Atommüllkonferenz 24.09.2016

Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs: Verantwortung und Sicherheit – ein neuer Entsorgungskonsens“, Berlin 27.04.2016

Warth&Klein Grant Thornton: Gutachtliche Stellungnahme zur Bewertung der Rückstellungen, 09.10.2015

Dr. Däuper/ Dr. Fouquet / Dr. Irrek: Gutachten Finanzielle Vorsorge im Kernenergiebereich -Etwaige Risiken des Status quo und mögliche Reformoptionen, 10.12.2014

Dr. Irrek / Dr. Vorfeld Liquidität und Werthaltigkeit der Anlage der freien Mittel aus der Bildung von Rückstellungen für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung der Atomkraftwerke, 15.07.2015

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Bericht über Kosten und Finanzierung der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, August 2015

Küchler / Meyer / Wronski: Atomrückstellungen für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung, 10.10.2014

Dr. Irrek: Die Ewigkeitslasten der deutschen Atomindustrie, Vortrag auf der Atommüllkonferenz 30.08.2014

Dr. Irrek: Die Ewigkeitslasten der deutschen Atomindustrie_in: anti-atom-aktuell Nr. 242

Deutscher Bundestag: Antwort auf die Kleine Anfrage (Linke): Volkswirtschaftliche Kosten der Atomenergie, Drucksache 16/10077, 01.08.2008

Wuppertal Institut: Projekt Vergleich der verschiedenen Methoden zur Finanzierung von Stilllegung, Rückbau und Entsorgung nuklearer Anlagen in der Europäischen Union