Mehr als 60 interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen zur zweiten Fachtagung des Projektes Atommüllreport am 25.11.2016 nach Würzburg, um über die Probleme bei der Zwischenlagerung hoch radioaktiver Abfälle zu diskutieren.
Thorben Becker, Leiter Atompolitik des BUND „Zwischenlagerung, über welche Zeiträume sprechen wir?“
Thorben Becker führte in das Thema ein. Er gab einen Überblick über die Mengen, die Orte und die Zeiträume, in denen über Zwischenlagerung von Atommüll gesprochen werden muss.
Zum 01.01.2019 sollen die Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle laut Entsorgungsübergangsgesetz von den Betreibern an den Staat übergehen, bzw. die Transportbehälterlager Gorleben und Ahaus der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) abgekauft werden. Unklar bleibt bisher, wer die Anlagen ab 2019 real betreiben wird.
Alle Zwischenlagergenehmigungen (TBL Gorleben, TBL Ahaus, ZLN Lubmin und Standortzwischenlager an den Atomkraftwerken) laufen zwischen 2034 und 2047 aus. Die Einlagerung in ein tiefengeologisches Lager wird selbst bei zuversichtlichsten Prognosen bis dahin nicht begonnen worden sein. FAZIT: Will man eine einfache Verlängerung der Genehmigungen vermeiden, muss die Debatte über eine sichere Langzeitzwischenlagerung, über Nachrüstung oder Neubau JETZT geführt werden.
Diskussion: Die Aufbewahrungsgenehmigung für die Castoren aus Jülich im TBL Ahaus ist vom Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) erteilt worden. Die Transportgenehmigung liegt noch nicht vor. Für einen Export der Jülicher Castoren nach Ahaus liegt noch kein Transportantrag vor.
Die Aufbewahrungsgenehmigung für die Brennelemente aus Obrigheim im SZL Neckarwestheim ist vom Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) ebenfalls erteilt worden. Die Transportgenehmigung liegt noch nicht vor, das Genehmigungsverfahren sei jedoch bereits „relativ weit fortgeschritten“. Es wird darauf hingewiesen, dass die Durchfahrtshöhe der Neckarbrücken eine Lagerung der Behälter unterhalb der Wasserlinie voraussetzt. Der Transport wäre der erste von hoch radioaktiven Abfällen auf einem deutschen Binnengewässer.
Präsentation „Zwischenlagerung, über welche Zeiträume sprechen wir?“
Dennis Köhnke, TU Braunschweig und Mitarbeiter im ENTRIA-Projekt: „Internationale Praxis der Zwischenlagerung und Forschung zur langfristigen Zwischenlagerung hoch radioaktiver Abfälle"
Im Rahmen des ENTRIA-Projektes befasst sich das Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz der TU Braunschweig mit der Option einer langfristigen Oberflächenlagerung für mehrere hundert Jahre. Die Zwischenlager haben immer die vier unterschiedlichen übergeordneten Schutzziele zu erfüllen: Abschirmung ionisierender Strahlung, sicherer Einschluss, Wärmeabfuhr und Unterkritikalität.
Für das ENTRIA-Projekt wurden die Vor- und Nachteile der verschiedenen Zwischenlagerkonzepte in anderen Ländern, abhängig vom einzulagernden Inventar untersucht. Dabei verfolgen die Länder unterschiedliche Konzepte.
- Schweden lagert die abgebrannten Brennelemente in Nasslagern, genehmigt für 30 Jahre.
- In Kanada wird an 7 Standorten gelagert, u.a. in überirdischen Silos ohne Lagerhalle (MACSTOR-Behälter). Genehmigungen werden nur für jeweils 5-7 Jahre erteilt, dann muss eine Neugenehmigung erfolgen.
- In den USA gibt es verschiedene Konzepte an mehr als 50 Standorten, u.a. eine oberflächennahe Vergrabung.
- Japan hat sich an den deutschen Konzepten orientiert und diese weiterentwickelt.
- In Spanien gibt es drei Zwischenlager. Es wurde ein Freiwilligenprozess durchgeführt, der 2011 zur Wahl von Villar de Canas als Zwischenlagerstandort führte. Dieses Trockenlager soll für 60 Jahre genehmigt, aber für 100 Jahre ausgelegt werden.
- Die Zwischenlagerung in der Schweiz ist ähnlich der deutschen.
- Kasachstan orientiert sich am US-Modell.
- In den Niederlanden wird ein Bunkerkonzept verfolgt, die Lagerung innerhalb oberirdischer Hallen in Bohrlöchern in Festbeton mit Naturumlaufkühlung. Der hoch radioaktive Abfall in den Niederlanden besteht vor allem aus verglasten Abfällen.
- In Frankreich wird bereits seit 1991 eine umfangreiche Forschung zur Langzeit-Zwischenlagerung durchgeführt.
Deutschland hat – in Relation zu den anderen Ländern – einen hohen Standard bei der Zwischenlagerung. Deutschland hat zwei Möglichkeiten vorzugehen: wait & see oder wait & act. Nicht nur, dass die Einlagerung in ein tiefengeologisches Lager viele Jahrzehnte dauern wird, die Gesellschaft muss sich auch für ein Scheitern der Endlagersuche wappnen.
FAZIT: wir sind nicht die einzige Gesellschaft, die sich zu der Problematik der nicht zur Verfügung stehenden Endlager und somit der Erforschung und Optimierung der ZL Gedanken macht und es besteht ein hoher Forschungsbedarf.
Debatte zwischen Wolfgang Neumann, INTAC Hannover und Dr. Michael Hoffmann, Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit: „Wie sicher sind die Zwischenlager?“
Präsentation Input Wolfgang Neumann:
Das Brunsbüttel-Urteil vom 19.06.2013 hat dazu geführt, dass ein neues Genehmigungsverfahren durchgeführt werden muss. Hier steht die Frage im Raum, ob die Lagerhülle des Zwischenlagers einem Flugzeugabsturz (inklusive A380) und Beschuss durch panzerbrechende Waffen - hier auch Behälterstabilität - standhalten kann; Neumann vertritt die Auffassung, dass diese Überprüfung für alle Zwischenlager durchgeführt werden müsste und nicht nur für dasjenige, dessen Genehmigung entzogen worden ist.
Heiße Zellen sind aus drei Gründen notwendig: 1. um ein etwaiges Dichtungsversagen der Behälterdeckel vor Ort zu reparieren; ein Fügedeckel wird nicht den gleichen Kriterien gerecht wie der Austausch des Primärdeckels; zudem ist beim CASTOR HAW28M der Austausch des Primärdeckels zwingend; 2. Die Sicherheitsnachweise müssen im ZL geführt werden können, insbesondere weil die Lagerzeiten sich jetzt deutlich verlängern. Auch das geht nur in einer heißen Zelle; 3. Die laut Atomgesetz vorgeschriebene periodische Sicherheitsüberprüfung darf nicht nur rechnerisch, sondern muss mit repräsentativen Stichproben durchgeführt werden.
Nachrüsten oder Neubau Eine sicherheitstechnische Nachrüstung ist allenfalls in den Zwischenlagern nach STEAG-Konzept möglich, bei den Zwischenlagern im Süden und den zentralen Zwischenlagern nicht. allenfalls in Brunsbüttel möglich, an allen anderen ZL-Standorten wird ein Neubau notwendig sein. Dann stellt sich die Frage nach a) einem zentralen Lager für hochaktiven Müll, b) einem Neubau an allen jetzigen Zwischenlager-Standorten oder c) an 3 bis 7 Standorten.
Input Michael Hoffmann:
Wie geht es nach 2034 mit der Zwischenlagerung weiter? Das Atomgesetz, die Strahlenschutzverordnung und das weitere kerntechnische Regelwerk geben hierfür ausreichend Vorgaben. Die Überwachung der Zwischenlager und die periodischen Sicherheitsüberprüfungen ohne repräsentative Stichproben in heißen Zellen reichen aus, um mit unvorhergesehenen Entwicklungen umzugehen.
Aufgrund des Rückbaus der Atomkraftwerke ergeben sich neue Anforderungen an die „Entmaschung“ mit den Standortzwischenlagern, deren Genehmigung an die Existenz des AKW gebunden ist. Dabei handle es sich um Infrastruktureinrichtungen wie Notstromversorgung, Werksfeuerwehr, etc.
Die Schutzziele für die Zwischenlager werden auch bei „zerbröselten Brennelementen“ eingehalten, für den Transport ergeben sich eventuell daraus Sicherheitsfragen.
Reparatur eines defekten Primärdeckels: Bisher ist vorgesehen, einen Fügedeckel aufzuschweißen, das reiche auch aus. Es ist aber noch ungeklärt, ob dieses für einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren ausreichen wird.
Wie sicher sind die Zwischenlager? Laut Umweltforschungsplan und der Forschung der Bundesanstalt für Materialforschung (BAM) ist die Sicherheit der Zwischenlager und der Behälter für 40 Jahre nachgewiesen. Für die Zeit danach muss die Gesellschaft klären, welche Kriterien sie haben will.
DEBATTE
Nachfrage Schönberger: Ist eine Heiße Zelle notwendig, um in die Behälter hineinzusehen?
Hoffmann: Das Fügedeckel reicht für einen Sicherheitsnachweis für 40 Jahre aus.
Neumann: Das Fügedeckel-Konzept ist nicht ausreichend. Wo noch Reaktoren in Betrieb sind, kann der Austausch des Primärdeckels im Reaktorbehälter erfolgen.
Nachfrage Schönberger: Wer prüft nach der Übergabe der Zwischenlager an den Staat nach dem 01.01.2019 den Behälterzustand?
Hoffmann: Der Gesetzesentwurf ist noch nicht soweit, man wird aber auf die Fachleute aus der GNS nicht verzichten können.
Nachfrage Teilnehmerin: Bisher wurde Kredit von den Atomkraftwerkseinrichtungen genommen. Welche neuen Komponenten müssen im Zuge des Rückbaus bei den Zwischenlagern installiert werden?
Hoffmann: Wir sehen die Heiße Zelle nicht als Komponente, die zu errichten ist. Bei der Entmaschung geht es um Notstromerzeugung, Sicherungskästen, etc.
Nachfrage Teilnehmer: Was machen Sie denn, wenn in 30 Jahren KEIN Endlager gefunden wurde?
Neumann: Man muss heute dafür Vorsorge treffen, dass Behälter 60 bis 100 Jahre zwischengelagert werden können. Dafür braucht man auch bessere Barrieren gegen Angriffe von außen.
Hoffmann: Das Nationale Entsorgungsprogramm sieht die Findung eines Endlagers bis 2050 vor und das ist der Handlungsrahmen für das BfE.
Nachfrage Oda Becker: Wenn man sich die Probleme bei den Behältern für schwach- und mittelradioaktive Abfälle ansieht, muss man für den Umgang mit den hochradioaktiven Abfällen Schlüsse ziehen. Auf einer Veranstaltung in Schleswig-Holstein hat ein Vertreter des dortigen Umweltministeriums das Wort „Durchwurschtln“ dazu geäußert. Gibt es im BfE eine übergeordnete Arbeitsgruppe, die sich darüber Gedanken macht?
Hoffmann: Im BfE gibt es Forschungsbereiche zur längerfristigen ZL über 40 Jahre hinaus: Das BfE habe damit angefangen, entsprechende Aktivitäten zu fördern.
Nachfrage RA Wollenteit: an Neumann - Warum kann man die süddeutschen ZL nicht nachrüsten?
an Hoffmann: wie läuft die „Entmaschung“ bei der Zwischenlager-Genehmigung? Welche Abstimmungen gibt es dazu mit den jeweiligen Landesbehörden? Was ist vom Konzept der „mobilen heißen Zelle“ zu halten?
Neumann: Die süddeutschen Hallen nach dem WTI-Konzept sind von Betreiberseite aus nicht als Barriere, sondern nur „als Wetterschutz“ ausgelegt. Bei den norddeutschen Hallen nach STEAG-Konzept gibt es die Prognose, dass lediglich die harten Teile eines Flugzeugs das Hallendach durchbrechen würden. TÜV-Untersuchungen haben ergeben, dass die Zwischenlager in Gorleben und Ahaus die unsichersten sind, dann die süddeutschen, dann die norddeutschen folgen; das Kriterium der Robustheit des Hallengebäudes ist das Entscheidende.
Hoffmann: „Entmaschung“ heißt, dass beim Rückbau des Atomkraftwerks nach §6 AtG nachgewiesen werden muss, dass das Zwischenlager alle notwendigen Komponenten für eine Genehmigung selbst stellt (Bsp. Notstromversorgung).
Nachfrage Teilnehmer: Wie sieht die „mobile heiße Zelle“ aus?
Hoffmann: Davon weiß ich nichts.
Nachfrage Teilnehmer: Das Konzept der sogennanten „konsolidierten Zwischenlager“ (Neubau von Zwischenlagern an 3-7 Standorten) ist doch in der Endlagerkommission diskutiert worden. Wie sieht das Zwischenlager-Konzept der Zukunft aus? Was ist in Lubmin los, wo die „Härtung“ des Zwischenlagers nicht möglich ist?
Hoffmann: Wenn wir die neuen zentralen Zwischenlager tatsächlich bauen, bedeutet dies, dass wir dann zunächst 700 CASTOR-Transporte zu diesen Lagern verursachen; danach 700 zu einem evtl. Endlager. Bis jetzt haben die Energiewerke Nord keine Nachrüstungspläne für das Zwischenlager Nord vorgelegt, die genehmigungsfähig wären.
Nachfrage Teilnehmer: Was machen wir im Zwischenlager Grohnde, wenn eine Kernschmelze in einem Castor-Behälter stattfindet. Das Zwischenlager dort hat keine heiße Zelle.
Hoffmann: Wir haben berechnet, dass das nicht passieren kann.
[mehrere Nachfragen aus dem Publikum]: Warum kann man denn nicht in Realität in die Behälter hineinsehen?
Hoffmann: Ist das jetzt eine ernsthafte Forderung, dass wir die CASTOR-Behälter öffnen sollen?
Nachfrage RA Wollenteit: Wie ist der aktuelle Stand der Dinge in Sachen Neugenehmigung des Zwischenlagers Brunsbüttel?
Hoffmann: Die eingereichten Unterlagen sind annähernd auslegungsreif, es wird vermutlich im Frühjahr 2017 zum Erörterungsverfahren kommen.
Nachfrage Teilnehmer: Bei der Frage, „wie diskutiert eine Gesellschaft den Umgang mit Atommüll?“, existiert eine Schieflage. Es wird an verschiedenen Stelle diskutiert, wer was wo entscheidet und wer letztlich eine Entscheidung trifft. Aber eigentlich erleben wir ein „weiter wie bisher“.
Nachfrage Teilnehmerin: Das Zwischenlager Neckarwestheim fällt ja wegen der Tunnellagerung aus den anderen Konzepten heraus. Nun wurde die Lagerung der Brennelemente aus Obrigheim dort für 40 Jahre genehmigt, obwohl der Baugrund als marode gilt.
Hoffmann: Mir ist nicht bekannt, dass es Baugrunduntersuchungen über 40 Jahre hinaus gibt.
Nachfrage Teilnehmerin: Wenn die Genehmigungen der Zwischenlager auslaufen, nach welchen Kriterien wird es dann Verlängerungsgenehmigungen und nach welchen Neugenehmigungen geben?
Hoffmann: Wir erteilen eine Umgangsgenehmigung für jeweils 40 Jahre. Wenn die Brennelemente länger lagern sollen, müssen wir neu genehmigen.
Teilnehmerin: Wir sollten die Begriffe Zwischen- und Endlager aus unserem Wortschatz streichen und sollten uns klar werden, dass wir jetzt vor einer neuen Phase des Umgangs mit Atommüll stehen.
RA Dr. Ulrich Wollenteit: "Legal, Illegal, Ganz egal? - Zur beabsichtigten „Bereitstellungslagerung“ von Kernbrennstäben in dem ungenehmigten Standortzwischenlager des AKW Brunsbüttel“
Präsentation und Bericht folgen