Die Bedeutung der russischen Atomindustrie für Europa

Rosatom (Föderale Agentur für Atomenergie Russlands) ist eine Staatskooperation, die direkt der russischen Regierung untersteht. Sie leitet sowohl den zivilen als auch den militärischen Atomsektor Russlands. Rosatom unterstehen mehr als 300 Unternehmen und Organisationen mit mehr als 250.000 Mitarbeiter*innen. Die Atomindustrie Russlands ist eng mit der Atomindustrie Rest-Europas verbunden.

ROSATOM

Rosatom (Föderale Agentur für Atomenergie Russlands) ist eine Staatskooperation, die direkt der russischen Regierung untersteht. Sie leitet sowohl den zivilen als auch den militärischen Atomsektor Russlands. Rosatom unterstehen mehr als 300 Unternehmen und Organisationen mit mehr als 250.000 Mitarbeiter*innen. [1]

Innerhalb Rosatoms bündelt die Atomenergoprom-Gruppe die zivilen kommerziellen Aktivitäten. Zu den Töchtern der Atomenergoprom gehören die beiden Uranbergbaufirmen AMRZ und Uranium One, die Urankonversions- und Anreicherungsfirma sowie Brennelementherstellerin TVEL, der Brennstoffhändler TENEX, der Maschinenbauer Atomenergomash sowie der Betreiber Rosenergoatom. [2]

Die ASE Gruppe bündelt die Engineering Unternehmen von Rosatom. Dazu gehören die JSC Atomstroyexport, das United Design Institute JSC Atomenergoprojekt und JSC Atomprojekt. [2]

Rosatom bietet Leistungen über die gesamte Lieferkette vom Uranabbau und -weiterverarbeitung, über Brennelementherstellung, Atomtransporte, Bau, Betrieb und Rückbau von Atomkraftwerken bis hin zur Lagerung radioaktiver Abfälle an. Dazu kommen medizinische Produkte, Forschung und Entwicklung und seit einiger Zeit auch Projekte regenerativer Energienutzung. [1]

Rosatom ist in mehr als 50 Ländern auf der ganzen Welt tätig und ist laut Eigenauskunft weltweit Nummer 2 bei den Uranreserven und der Uranproduktion, Nummer 1 bei der Urananreicherung und Nummer 3 bei der Brennelementherstellung. [1]

Uranförderung

In Russland wurden 2020 2.846 Tonnen Uran gefördert, was rund sechs Prozent der weltweiten Uranproduktion ausmacht. [3] Das zuständige Unternehmen ist die ARMZ (Atomredmetzoloto Uranium Holding Co.), eine Tochter der Atomenergprom. Außerhalb Russlands ist der russische Staatskonzern an Minen in Kanada sowie an Projekten in Tansania und Namibia beteiligt. [4] Die kanadische Bergbaugesellschaft Uranium One einen der weltweit führenden Unternehmen für den Uranabbau, ist zu 100% in russischem Besitz. 94,4% der Anteile hält Rosatom, den Rest das russische Finanzministerium. In Kasachstan, dem Land mit der seit Jahren weltgrößten Uranförderung, ist Rosatom zudem über Uranium One und seine Tochtergesellschaft UrAsia an weiteren Uranminen und Vorkommen beteiligt. [3]  

Im Dezember 2021 verkaufte Uranium One seine US-Amerikanische Tochter Uranium One Americas Inc. an die US-Firma Uranium Energy Corp. Damit zog sich der russische Urankonzern aus den USA zurück und besitzt keine Anteile mehr an der Uranförderung in den USA. [5]  

Nach Angaben der europäischen Atomgemeinschaft EURATOM importierte die Europäische Union 20,2% seines Uranbedarfs aus Russland. Zudem kamen 19,1% des Rohstoffs aus Kasachstan und 18,4% aus Kanada, an denen Rosatom zum Teil mitverdiente. [3]

Urankonversion und Urananreicherung

2020 wurden rund 24% der Uran-Konversionsdienstleistungen und 26% der Urananreicherung für die Europäische Union von der russischen TVEL geleistet. Die Konversionsanlage Siberian Chemical Combine in der Region Tomsk ist die drittgrößte weltweit. Am selben Standort befindet sich eine Urananreicherungsanlage, weitere in den Regionen Sverdlovsk, Krasnoyarks und Irkutsk. [2] Laut TVEL nutzt weltweit jeder sechste Reaktor derzeit Brennstoff der von TVEL hergestellt worden ist. [6]

Russland beliefert auch die Brennelementfertigungsanlage in Lingen. Laut zuständigem Bundesamt wurden allein für den Zeitraum von 2021 bis 2023 Lieferungen von insgesamt 111.744 kg Uranpellets von Russland nach Lingen genehmigt und bereits zu 25% ausgeführt. Ebenfalls genehmigt ist die Einfuhr von 269.500 kg Uranhexafluorid bis Ende 2022 von denen ca. 15% bereits geliefert wurden. [7]

Dank der Beobachtungen von Atomkraftgegner*innen wurde bekannt, dass der russische Frachter Mikhail Dudin am 28.09.2022 in Rotterdam angelegt hat, um einige Stunden später nach Dünkirchen weiterzufahren. Es ist unklar, ob der Frachter angereichertes Uran für die Brennelementefabrik in Lingen gebracht hat oder Uran aus Lingen und Frankreich zugeladen hat, um anschließend zurück nach Russland zu fahren. „Die Laka-Stiftung in Amsterdam hat zudem recherchiert, dass die niederländische Atomaufsicht am 19. September Rosatom und Framatome Lingen zum zweiten Mal in nur zwei Monaten eine Transitgenehmigung für angereichertes Uran aus Russland für die Brennelementfertigung in Lingen erteilt hat.“  Die Initiative Sofa Münster weist darauf hin, dass Transit-Genehmigungen in den Niederlanden nur erteilt werden können, wenn die deutsche Bundesregierung zuvor den Import zur Brennelementefabrik Lingen genehmigt hat – die Bundesregierung ist also aktiv in den neuen Urangeschäften mit Russland. [8]

Brennelementfertigung

Im Februar 2021 wurde durch eine Mitteilung des Bundeskartellamtes öffentlich bekannt, dass die TVEL einen 25%-Anteil an dem französischen Unternehmen Advanced Nucelar Fuels (ANF) erwerben und damit in die Brennelementfertigung in Lingen einsteigen wollte. Die Europäische Union und das Bundeskartellamt hatten dem Kauf bereits zugestimmt, die Bundesregierung verweigerte jegliche Auskunft zu dem Vorgang und verwies auf den Geheimschutz. [9] Ende Februar 2022 zog Rosatom seinen Antrag für dieses Joint Venture zurück. [10]

Neben Russland betreiben elf weitere Staaten WWER-Reaktoren russischer Bauart: Armenien (Mezamor 2), Belarus (Belarus 1), Bulgarien (Kosloduj 5 und 6), China (Tianwan 2 und 3), Finnland (Lovisa 1 und 2), Indien (Kudankulam 1 und 2), Iran (Buschehr 1), Slowakei (Bohunice 1 und 2, Mochovce 1 und 2), Tschechien (Dukovany 1-4, Temelin 1 und 2), Ukraine (Riwne 1-4, Süd-Ukraine 1-3, Saporischja 1-6) und Ungarn (Paks 1-4). [11] Sie werden mit sechseckigen Brennstoffkassetten betrieben, die fast alle aus der Produktion von TVEL stammen.

Derzeit bietet nur Westinghouse Brennelemente für WWER-Reaktoren an. Westinghouse hat sich dabei vor allem auf die Zusammenarbeit mit der Ukraine und auf die Produktion von Brennelementen für den Typ WWER-1000 konzentriert. Westinghouse versorgt die Reaktoren Süd-Ukraine 2 und 3 und vier der Reaktoren in Saporischja. [12] Im Juni 2021 unterzeichneten Westinghouse und die ukrainische Energoatom einen Vertrag für die Lizenzierung von Brennelementen für die älteren Reaktoren in der Ukraine des Typs WWER-440. [13] Hergestellt werden die Brennelemente in der Brennelementfabrik von Westinghouse im schwedischen Vasteras. Auch Bulgarien und Tschechien wollen nach Auslaufen ihrer Verträge mit TVEL 2023 und 2025 auf Brennelemente von Westinghouse umsteigen. [12]

Unklar ist, welche Fertigungskapazitäten bei Westinghouse für die Produktion von Brennelementen für die WWEER-Reaktoren vorhanden sind. Außerdem wird die Entwicklung, Erprobung und Lizenzierung der WWER-440 Brennelemente geschätzt 6 bis 10 Jahre dauern. [2]

Aufgrund der Abhängigkeit von russischen Brennelementen durfte am 1. März 2022 trotz eines Flugverbots für russische Maschinen im Luftraum der EU eine russische Transportmaschine mit einer Sondergenehmigung in der Slowakei landen, um die beiden slowakischen Atomkraftwerke mit neuen Brennelementen zu versorgen. [7]

Neubau von Atomkraftwerken durch Rosatom

Rosatom baut derzeit neue Reaktoren in Ägypten (El-Dabaa 1 bis 4), in Bangaldesh (Ruppur 1 und 2) und in China (Tianwan 7 und 8, Xudapu 3 und 4). Auch in Europa gibt es Neubauprojekte, 1 Reaktor in Belarus, 2 in Ungarn und 4 in der Türkei. Der Neubau des finnischen Reaktors Hanhikvi-1 wurde von dem finnischen Konsortium Fennovoima am 02.05.2022 storniert.

Belarus: Ostrowets 2 [14]

  • Baubeginn: 27.04.2014
  • Reaktortyp: WWER-1200/491 mit knapp 1.200 MWe Leistung
  • Kosten: Geschätzt ca. 5 Mrd. Euro
  • Ostrowets 1 ist am 10.06.2021 Betrieb gegangen

Ungarn: Paks 5 und Paks 6

  • Vertrag zwischen Ungarn und Rosatom über den Bau von zwei Atomkraftwerken: 14.01.2014
  • Baubeginn: 20.06.2019 [15]
  • Genehmigung durch die ungarische Regulierungsbehörde am 22.08.2022 [16]
  • Reaktortyp: 2 x WWER-1200/527 mit 1.200 MWe Leistung
  • Kosten: Geschätzt ca. 12,5 Mrd. Euro
  • Finanzierung: Russischer Staatskredit: 10 Mrd. €, Ungarn: 2,5 Mrd. €

Türkei: Akkuyu 1 bis 4

  • Baubeginn: Block 1 | 03.04.2018, Block 2 | Block 3 10.03.2021 | Block 4: 21.07.2022
  • Reaktortyp: 4 x WWER-1200/509 mit 1.200 MWe Leistung
  • Kosten: Geschätzt 20 Mrd. Euro [17]
  • Finanzierung: Die Anlage wird von Rosatom gebaut und betrieben und bleibt im Besitz Rosatoms. Der türkische Netzbetreiber TETAS wird 70% der Stromproduktion von Block 1 & 2 für USD 12,35 ct/kWh für 15 Jahre, oder bis 2030 abkaufen. Die Produktion der Blöcke 3 & 4 wird nur zu 30% mit dieser Einspeisevergütung für 15 Jahre bedacht. Die Reststrommengen müssen am Markt verkauft werden, nach dem Vergütungszeitraum der gesamte Strom. Der Betreiber muss erst nach 15 Jahren 20% seines Profits an den türkischen Staat abführen. [18]

Stilllegung und Rückbau kerntechnischer Anlagen, Bau von Konditionierungseinrichtungen und Atommülllager

2009 hat Atomstroyexport die NUKEM Technologies GmbH mit Sitz in Alzenau (Bayern) übernommen. NUKEM wurde 1960 von Degussa (52,5%), Rio Tinto (22,5%), Metallgesellschaft (15%) und Mallinckrodt (10%) gegründet und war später zu 100% im Besitz der RWE..

NUKEM Technologies ist inzwischen spezialisiert auf Stilllegung und Rückbau kerntechnischer Anlagen sowie den Bau von Konditionierungs- und Lagereinrichtungen für radioaktive Abfälle. Das Unternehmen betreibt Projekte in 22 Ländern, in Deutschland unter anderem in Neckarwestheim, Philippsburg, Brunsbüttel, Karlsruhe und Gronau.

Weitere Abhängigkeiten

Nicht zu unterschätzen sind auch die weiteren Abhängigkeiten von Rosatom und seinen Tochterfirmen. Dabei handelt es sich um Wartungen, Instandhaltungen, Reparaturen, Nachrüstungen Lieferung von Ersatzteilen und diverse andere Dienstleistungen für die Reaktoren russischer Bauart, die nicht ohne weiteres von westlichen Firmen übernommen werden können.

Auch gibt es eine ganze Reihe von Kooperationen zwischen Rostam und europäischen Unternehmen wie Framatome, CEA und Orano sowie gemeinsame Forschungsarbeiten zur Kernfusion (ITER) und anderen Bereichen. [2]

Quellen

[1] rosatom-europe.de: Globale Präsenz von Rosatom, abgerufen am 28.09.2022

[2] Umweltbundesamt: Analyse der Rosatom-Aktivitäten bzw. Rosatom-Verflechtungen mit der EU, Wien 2022

[3] energiezukunft: Wie Russland Europas Atomenergie in der Tasche hat, 22.04.2022

[4] uranium one group: Uranium, abgerufen am 28.09.2022

[5] Uranium energy Corp.: Uranium Energy Corp Completes Acquisition of Uranium One Americas to Create America's Largest Uranium Mining Company, abgerufen am 28.09.2022

[6] TVEL, abgerufen am 28.09.2022

[7] BUND et.al: Faktenblatt: Atomkraft und die Abhängigkeit von Russland

[8] Sofa Münster: Russischer Uranfrachter in Rotterdam und Dünkirchen – Framatome als Sanktionsverhinderer, abgerufen am 28.09.2022

[9] Antwort der Bundesregierung auf die schriftliche Frage des Abgeordneten Hubertus Zdebel, 11.03.2021

[10] Deutschlandfunk: Auch Europas Nuklearindustrie kann nicht ohne Russland, 28.04.2022

[11] Wikipedia: Liste der WWER, abgerufen am 28.09.2022

[12] Nuklearforum Schweiz: Bulgarien und Tschechien wollen russisches Uran durch Westinghouse-Kernbrennstoff ersetzen, 01.04.2022

[13] Windkraft Journal: Westinghouse und Energoatom arbeiten bei Brennelemente-Lizenzierung in der Ukraine zusammen, 11.06.2021

[14] nucleopedia.de: Kernkraftwerk Ostrowets, abgerunfen am 28.09.2022

[15] Paks 2: The construction of the first facilities of the construction and erection base of Paks II. Nuclear Power Plant has started, 20.06.2019

[16] Wiener Zeitung: Ungarn kündigt Baustart von Atomkraftwerk Paks II an, 26.08.2022

[17] tagesschau.de: Türkei setzt auf Atomenergie, 16.11.2021

[18] nucleopedia.de: Kernkraftwerk Akkuyu, abgerufen am 28.09.2022