Das Meer ist in mehrfacher Hinsicht Endlager für radioaktive Abfälle und durch radioaktive Ableitungen belastet:
Fall-out der (teilweise unter Wasser durchgeführten) Atombombenversuche: „Die atmosphärischen Nuklearwaffentests in den fünfziger und sechziger Jahren führten zu einer globalen Kontamination, vor allem der Nordhalbkugel, durch Falloutnuklide. Im Meeresbereich werden die langlebigen Radionuklide Tritium (H-3), Strontium-90 (Sr-90), Caesium-137 (Cs-137), die Plutoniumisotope Pu-239, Pu-240, Pu-238, Pu-241 und Americium-241 (Am-241) aus dieser Quelle nachgewiesen. Nach Beendigung der atmosphärischen Tests der Großmächte Anfang der sechziger Jahre nahm die Konzentration künstlicher Radionuklide im Meerwasser ständig ab.“ [1]
Folgen atomarer Katastrophen (u.a. Tschernobyl, Fukushima): In der Nordsee nahm in den letzten Jahren die Konzentration der meisten künstlichen Radionuklide ab, während in der Ostsee heute noch höhere Konzentrationen des Nuklids Cs-137 (Caesium-137) zu messen sind als vor dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahre 1986, inzwischen aber auch mit deutlich abnehmender Tendenz. [1] Seit der Katastrophe von Fukushima strömt radioaktiv kontaminiertes Wasser in den Pazifik. Dazu kommt, dass ca. 88 % des radioaktiven Niederschlages direkt nach der Katastrophe über dem Pazifik niedergingen. [2] Kontaminiertes Wasser wird teilweise mit Erlaubnis der Regierung, teilweise infolge von immer wieder auftretenden Lecks in das Meer abgeleitet. [3]
Ableitung radioaktiver Abwässer aus Atomanlagen im Normalbetrieb: Z.B. aus der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague täglich 400 Kubikmeter (entspr. 400.000 Liter) [4] und aus der Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield täglich 9 Millionen Liter. [5]
Vorsätzlich [6] oder infolge von Unfällen [7] versenkte Atom-U-Boote
Gezielte Versenkung radioaktiver Abfälle im Meer
Versenkung radioaktiver Abfälle zum Zweck der Endlagerung
Die erste Versenkung radioaktiver Abfälle im Meer fand durch die USA 1946, 80 km vor der Kalifornischen Küste statt. Die letzte bekannte Verklappung wurde von der Russischen Föderation 1993 in der Arktis durchgeführt.
Übersicht der Verklappungen [8]
Atlantik | Zeitraum | Standorte | Anzahl Gebinde | Aktivität | Aktivitäts-Anteil Atlantik |
Belgien | 1960-1982 | 6 | 55.324 | 2,12 x 1015 Bq | 4,7 % |
Deutschland | 1967 | 1 | 480 | 2,0 x 1012 Bq | <0,01 % |
Frankreich | 1967-1969 | 2 | 46.396 | 3,53 x 1014 Bq | 0,8 % |
Großbritannien | 1949-1982 | 33 | unbekannt | 3,51 x 1016 Bq | 77,5 % |
Italien | 1969 | 1 | 100 | 1,85 x 1012 Bq | <0,01 % |
Niederlande | 1967-1982 | 4 | 28.428 | 3,36 x 1014 Bq | 0,8 % |
Schweden (incl. Ostsee) | 1969 | 2 | 3.125 | 3,26 x 1012 Bq | <0,01 % |
Schweiz | 1969-1982 | 3 | 7.420 | 4,42 x 1015 Bq | 9,8 % |
USA (vor US-Küste) | 1949-1967 | 11 | 34.282 | 2,94 x 1015 Bq | 6,5 % |
Pazifik |
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| Aktivitäts-Anteil Pazifik |
Japan | 1955-1969 | 6 | 3.031 | 1,51 x 1013 Bq | 1,2 % |
Neuseeland | 1954-1976 | 4 | 9 | 1,04 x 1012 Bq | 0,3 % |
Süd-Korea | 1968-1972 | 1 | 115 | unbekannt | unbekannt |
UdSSR | 1966-1992 | 9 | 6.642 Gebinde 123,497 m³ flüssige Abfälle 100 unverpackte Großkomponenten | 8,74 x 1014 Bq | 59,5 % |
USA | 1946-1970 | 18 | 56.261 | 5,54 x 1014 Bq | 38,9 % |
Arktische See |
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| Aktivitäts-Anteil Arktische See |
UdSSR | 1959-1992 | 36 | 6.508 Gebinde 190.334 m³ flüssige Abfälle 153 unverpackte Großkomponenten 6 Reaktoren und Behälter mit abgebrannten Brennelementen 10 Reaktoren ohne abgebrannte Brennelemente | 3,7 x 1016 Bq | 100% |
Verbot
1975 Inkrafttreten des am 29.12.1972 geschlossenen Übereinkommens zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen: Verbot der Verklappung hochradioaktiver Abfälle.
Anfang der 80er Jahre machte die Umweltschutzorganisation Greenpeace durch spektakuläre Schlauchbooteinsätze auf die Verklappung radioaktiver Abfälle in das Meer aufmerksam.
1982 wurde die Verklappung (außer von der Sowjetunion) eingestellt.
20.02.1994 Inkrafttreten des Verbotes der Versenkung radioaktiver Abfälle im Meer. Das Verbot betrifft allerdings nur das Versenken von Gebinden. Die Einleitung flüssiger radioaktiver Abfälle über Pipelines in das Meer ist davon unberührt (s.o.).
Deutsche Verklappung
Parallel zur Einlagerung radioaktiver Abfälle im alten Salzbergwerk ASSE II verfolgte die Bundesregierung auch andere „Entsorgungswege“. Im Mai 1967 beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland an der Verklappung radioaktiver Abfälle im Atlantik, 450 km vor der Küste Portugals. 480 Fässer aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe wurden in Emden auf die „Topaz“ umgeladen, die die strahlende Fracht zu ihrem Bestimmungsort brachte. [9]
Bei der Deutschen Atomkommission war man beeindruckt von der Möglichkeit, mit einer Verklappung im Meer schon bei der vorherigen Zwischenlagerung des Atommülls Geld sparen zu können, da infolge der späteren Verklappung die billigsten Fässer verwendet werden könnten. [10]
Im Zwischenbericht der Studiengruppe Tiefenlagerung der Gesellschaft für Kernforschung - also der Abfalllieferanten - vom 29. Mai 1967 heißt es zur Aktion in Emden: „Die Umladung erfolgte ohne Störungen. Lediglich bei Beginn der Arbeiten zeigten die Schauerleute eine gewisse Scheu vor ihrer Tätigkeit und leisteten in geringem Umfang passiven Widerstand, da sie sich aus den Presseberichten über die Errichtung einer Salzkaverne in Bunde die Meinung gebildet hatten, dass jeder Umgang mit radioaktiven Abfällen in höchstem Maße gefährlich sei. Eine Aufklärung des wahren Sachverhalts durch unseren Strahlenschutzfachmann, der die gesamte Verladung überwacht hatte, konnte die Bedenken der Schauerleute zerstreuen und diese arbeiteten fortan tüchtig mit. […] Dank der wohlwollenden Unterstützung durch Hafenbehörden, Zoll und Gewerbeaufsichtsamt (die von der Gefährlichkeit der Abfälle ursprünglich auch überhöhte Vorstellungen hatten) konnten verschiedene kleinere Schwierigkeiten überbrückt werden“. [11]
In den Folgejahren beteiligte sich Deutschland nicht mehr an den Versenkungen radioaktiver Abfälle im Meer. Erst 1979, also nach Erlöschen der Einlagerungsgenehmigung für die ASSE II, wurde das Thema noch einmal aktuell. Diesmal war es die Kernforschungsanlage Jülich, die vom Bundesinnenministerium den Forschungsauftrag erhielt, ein Konzept für die Versenkung von ca. 20.000 Fässern im Atlantik auszuarbeiten, sowie die Kosten dafür zu ermitteln. Doch zur Umsetzung der Aktion kam es nicht mehr. [11]
Die versenkten Fässer im Atlantik sind inzwischen vom Salzwasser teilweise aufgelöst. Die Bundesregierung erklärte dazu: „Die Fässer waren nicht konzipiert, um einen dauerhaften Einschluss der Radionuklide am Meeresboden zu gewährleisten. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass sie zumindest teilweise nicht mehr intakt sind und Radionuklide freigesetzt wurden.“ [12] Trotzdem wurde das Monitoring eingestellt. Die letzte Fahrt eines deutschen Forschungsschiffes in die Versenkungsgebiete fand 2005 statt, wobei die Plutonium-Proben laut Bundesregierung wegen technischer Defekte unbrauchbar waren. Erst im März 2014 zeichnete sich ein mögliches Umdenken ab, Deutschland sprach sich im Rahmen der Internationalen Meeresschutzorganisation OSPAR erstmals für eine Untersuchung der betroffenen Meeresgebiete aus.
Quellen
[1] www.bsh.de: Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie - Radioaktivität des Meeres
[2] Dr. Alex Rosen: „Fukushima: Radioaktiv belastetes Wasser fließt ins Meer“
[3] AtomkraftwerkePlag: Fukushima verseucht Grundwasser und Pazifik
[4] taz.de: Und ständig wächst der Abfallberg, 13.10.2009
[5] umweltfairaendern.de: Plutoniumfabrik Sellafield – radioaktive Hotspots am Strand
[7] spiegel.de: Chronik – schwere Unfälle von Atom-U-Booten
[9] swr.de: Strahlende Altlast
[11] Staatliches Gewerbeaufsichtsamt Emden: Umschlag von radioaktivem Abfall im Emder Hafen, 22.05.1967