Handlungskonzept statt weiteres Durchwursteln gefordert

Bericht von der Fachtagung "Zwischen. Sicher? Ende?" 23.06.2023

Mehr als 50 Teilnehmer*innen aus Bürgerinitiativen, aus Umweltverbänden, aus der Wissenschaft sowie Vertreter*innen des Bundesamtens für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung, des Bundesumweltministeriums und des Nationalen Begleitgremiums, waren nach Hannover gekommen, um die Probleme der sicheren Lagerung radioaktiver Abfälle zu diskutieren.

Forderungen des Atommüllreports an die Bundesregierung: 
Zwischenlagerung: Handeln statt Durchwursteln

Oda Becker: Aktuelle Probleme und Gefahren bei deutschen Zwischenlagern für hoch-radioaktive Abfälle

Die Physikerin Oda Becker stellte ihre aktuelle Studie „Aktuelle Probleme und Gefahren bei deutschen Zwischenlagern für hoch-radioaktive Abfälle“ vor.  Mit zunehmender Zwischenlagerdauer ist von einer alterungsbedingten Veränderung der Materialien bzw. des Zustandes von Behälterkomponenten auszugehen. Insbesondere systematische alterungsbedingte Degradierung der Hüllrohre kann die Sicherheit bei verlängerter Zwischenlagerung beeinträchtigen. Die derzeit laufenden Forschungsprogramme über das Langzeitverhalten der Behälter und des radioaktiven Inventars seien aber auf einen viel zu kurzen Zeitraum ausgelegt und in ihrem Umfang unzureichend, so die Physikerin. „Der erste und wichtigste Schritt bei Betreiber und Behörden ist jetzt, überhaupt anzuerkennen, dass die Probleme existieren.“

Oda Becker verwies weiterhin darauf, dass die Zwischenlager ungenügend gegen mögliche terroristische Angriffe geschützt sind. Mit dem Krieg in der Ukraine sind Szenarien eingetreten, die bisher als kaum realistisch galten. Derzeit können auch modernere Waffen mit höherer Zerstörungskraft in die Hände von Terrorist*innen gelangen. Für die nächsten 80 Jahre könne man kriegerische Auseinandersetzungen nicht länger aus den Bedrohungsszenarien für die Zwischenlagerung in Deutschland ausschließen. „Eine risikoarme Zwischenlagerung ist aber unbedingte Voraussetzung für eine erfolgreiche Endlagersuche. Ein transparentes Verfahren für die Entwicklung eines neuen Zwischenlagerkonzepts mit einer umfassenden Bürgerbeteiligung wäre ein erforderlicher Schritt in Richtung einer erfolgreichen Standortauswahl für ein Endlager,“ schloss die Physikerin.

Vortrag Oda Becker

Studie von Oda Becker: Aktuelle Probleme und Gefahren bei deutschen Zwischenlagern für hoch-radioaktive Abfälle

Marcos Buser: Was machen andere? Zwischenlagerkonzepte international

Marcos Buser, Geologie und Sozialwissenschaftler aus der Schweiz betonte, dass Deutschland kein Einzelfall ist. Die Zwischenlagerung sei in keinem Land das Ergebnis einer rationalen Planung und eines konsistenten Entsorgungskonzeptes, sondern erratisch aus der Not geboren. Zwischenlagerung war anfangs immer nur als kurzfristiges Konzept gedacht, als Zwischenstufe zur Wiederaufarbeitung oder baldigen Endlagerung. Da sich jedoch in allen Ländern bis auf Finnland und Schweden die Pläne zur tiefengeologischen Lagerung nicht realisieren ließen und weit in die Zukunft verschoben werden mussten, stehe man jetzt vor der Notwendigkeit, Konzepte und Strategien für eine längere bis sehr lange Zwischenlagerung zu entwickeln und die Risikoanalysen daraufhin auszuweiten.

Marcos Buser forderte, die erratisch-chaotische Situation durch eine vorbeugende langfristige Planungen aufzulösen. Neben den Problemen, die bereits Oda Becker aufgezeigt hatte, verwies er auch auf die Notwendigkeit, kerntechnische Kompetenz zu erhalten, die politische, wissenschaftliche und administrative Führung solcher Programme zu verbessern und eine Fehlerkultur zu installieren. „Die übergeordnete, systematische Thematisierung der Langzeit-Zwischenlagerung muss vor den Endlager-Programmen priorisiert werden,“ so Buser, „man muss auch über unterirdisch angelegte Zwischenlager für 100 bis 300 Jahre nachdenken.“

Vortrag Marcos Buser

Kurzzusammenfassung Vortrag Marcos Buser

Nach der Mittagspause wurden Schlaglichter auf die Themen Kosten der Langzeit-Zwischenlagerung, Zwischenlagerung hochangereichten Urans und von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen geworfen.

Prof. Dr. Wolfgang Irrek: Kosten der Langzeit-Zwischenlagerung und verlängerten Standortsuche

Prof. Dr. Wolfgang Irrek, Ökonom an der Hochschule Ruhr-West erläuterte, dass in den Kostenschätzungen, die der Errichtung des Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (KENFO) zugrunde lagen, Zwischenlagerausgaben bis zu einem damals geschätzten Ende der Zwischenlagerung im Jahr 2098 in Höhe von insgesamt 5,8 Mrd. Euro (Preisstand 2014) bzw. 26,7 Mrd. Euro (inkl. Preissteigerungen) ermittelt wurden. Die Errichtung Heißer Zellen oder eine mögliche verlängerte Zwischenlagerung waren in den Kostenschätzungen nicht berücksichtigt. Je nachdem, welche Faktoren man in den Berechnungen für die zu erwartenden Ausgaben zugrunde legt, seien aber die Mittel, die dem KENFO rechnerisch für die Zwischenlagerung zur Verfügung stehen, zwischen 2031 und 2048 aufgebraucht. „Auf der einen Seite handelt es sich dabei um einen Verstoß gegen das im deutschen Umweltrecht verankerte Verursacherprinzip,“ so Dr. Wolfgang Irrek. „Auf der anderen Seite führt dies zu einem Kostendruck auf die Zwischenlagerung und die Standortsuche, bei dem es schwer wird, angemessene Anforderungen an die Sicherheit der Zwischenlagerung und den zukünftigen Endlagerstandort für hoch radioaktive Abfälle durchzusetzen.“

Vortrag Prof. Dr. Wolfgang Irrek

Kurzzusammenfassung Vortrag Prof. Dr. Wolfgang Irrek

Dr. Hauke Doerk: Geplante Zwischenlagerung von Brennelementen aus Garching und Jülich in Ahaus

Dr. Hauke Doerk, Physiker am Umweltinstitut München, beleuchtete die besonderen Probleme bei der Zwischenlagerung der Brennelemente aus dem Forschungsreaktor FRM II in Garching und aus den Hochtemperaturreaktoren in Hamm-Uentrop und dem AVR Jülich. Zum einen muss das hoch angereichterte Uran in diesen Brennelementen aufgrund seiner Waffenfähigkeit wirksam gegen Terrorakte einschließlich Diebstahl geschützt werden. Zum anderen sind Maßnahmen nötig, die sicher verhindern, dass es trotz hoher Anreicherung im geologischen Lager zu einer erneuten nuklearen Kettenreaktion kommt. Eine Entschärfung des Problems könne man durch eine Abreicherung und die Konditionierung dieser Brennelemente erreichen, doch dafür gibt es derzeit weder bei den Betreibern noch bei der Regierung irgendwelche Pläne. „Als wenig weitsichtig“ kritisierte Dr. Hauke Doerk die geplanten Transporte der Brennelemente aus Garching und Jülich in das Zwischenlager in Ahaus, dessen Genehmigung 2036 ausläuft. „Verantwortungsvoller wäre es, Transporte mit hoch angereichertem Uran zu vermeiden und genügend gesicherte Zwischenlager vor Ort zu errichten, sowie zumindest Pläne zur Abreicherung vorzulegen.“

Vortrag Dr. Hauke Doerk

Kurzzusammenfassung Vortrag Dr. Hauke Doerk

Ursula Schönberger: Konzeptionslosigkeit bei der Lagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle

Ursula Schönberger, Projektleiterin des Atommüllreports, zog Parallelen zwischen der Situation bei den hoch radioaktiven und den schwach und mittelradioaktiven Abfällen. Die Inbetriebnahme des alten Eisenerzbergwerks Schacht KONRAD als Atommülllager verschiebt sich immer weiter in die Zukunft und sei letztlich aufgrund des Alter des Projektes und der mangelhaften Sicherheitsstandards ungewiss und auch nicht wünschenswert. Auf jeden Fall müssen die radioaktiven Abfälle noch viele Jahrzehnte zwischengelagert werden. Doch dafür sind weder die Lager noch die Behälter ausgelegt. In vielen Zwischenlagern gibt es Probleme mit rostenden Behältern. Im Zwischenlager Karlsruhe beispielsweise sind von den seit 2012 untersuchten Abfallgebinden 8 Prozent korrodiert. Für eine relevante Zahl von radioaktiven Abfällen gibt es noch gar keine Konzept für ein tiefengeologisches Lager, bei manchen fehle auch noch die Konditionierungstechnik. Ursula Schönberger mahnte an, die Gefahren, die von den schwach- und mittelradioaktiven Stoffen ausgehen, nicht zu unterschätzen: „Auch für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle muss ein Langzeit-Zwischenlagerkonzept erstellt und das Durchwursteln beendet werden.“

Vortrag Ursula Schönberger

Kurzzusammenfassung Vortrag Ursula Schönberger

Zu der anschließenden Gesprächsrunde mit den Referent*innen war Ministerialdirigent Gerrit Niehaus, Leiter der Abteilung nukleare Sicherheit, Strahlenschutz im Bundesumweltministerium (BMUV) geladen. Er stellte sich der Diskussion und den Fragen aus dem Publikum. Er betonte, dass die Bundesregierung die Forschung zur Zwischenlagerung sehr wichtig nähme und über den Umfang und die Ausrichtung der Forschung auch gerne mit den kritischen Expert*innen in die Diskussion kommen würde. Er kündigte an, dass das BMUV dabei sei, das Nationale Entsorgungsprogramm zu überarbeiten und dieses im Rahmen einer Strategischen Umweltprüfung öffentlich zur Diskussion stellen würde. 

Bleibt abzuwarten und kritisch zu begleiten, ob das neue Nationale Entsorgungsprogramm den Realitäten gerecht wird, ob es einen Kurswechsel gibt, weg von einem erratischen hin zu einem planerischen Vorgehen, das die Probleme vom Ende her betrachtet und inwieweit die Bürger*innen tatsächlich in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden.

Die Forderungen der Expert*innen des Atommüllreports liegen seit Freitag auf jeden Fall auf dem Tisch: Zwischenlagerung - Handeln statt Durchwursteln

Eine gute und notwendige Tagung, die hoffentlich dazu beträgt, dass sich in Sachen Zwischenlagerkonzept was bewegt, resümiert ein Teilnehmer.

Bericht auf tagesschau24

Radioaktives Erbe sicher bewältigen: HRW Energiewirtschaftsexperte Prof. Dr. Wolfgang Irrek fordert verbindliches Konzept für Langzeit-Zwischenlagerung von Atommüll, Pressemitteilung der Hochschule Ruhr West