Laufzeitverlängerung für das AKW Borssele geplant

Obwohl das Atomkraftwerk Borssele nur 3,1% zur niederländischen Stromproduktion beiträgt, hält die Regierung an dem Betrieb des Reaktors fest. Bereits 2006 wurde die Laufzeit bis zum 31.12.2033 verlängert. Derzeit ist eine Verlängerung von weiteren 10 oder 20 Jahren in Planung. Damit hätte das AKW Borssele, das 1973 in Betrieb gegangen ist, eine Laufzeitgenehmigung für 80 Jahre Netz. Im Vorfeld im Vorfeld der grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Juli 2023 eine Einwendung gegen das Vorhaben eingereicht.

Mit dabei: der deutsche Energiekonzern RWE. Betreiber des AKW Borssele ist Elektriciteits Produktiemaatschappij Zuid-Nederland (EPZN), die wiederum zu 70 Prozent dem niederländischen Energieversorger Provinciale Zeeuwsche Electriciteits-Maatschappij gehört und zu 30 Prozent dem deutschen Energieversorger RWE.

Unzureichende Sicherheitsstandards, alterungsbedingte Probleme und kein Beitrag zum Klimaschutz

Der BUND verweist in seiner Stellungnahme darauf, dass das deutsche Bundesumweltministerium für die vor 1989 in Betrieb gegangene Atomkraftwerke festgestellt hatte, dass „Kernkraftwerke dieses Alters ein veraltetes Anlagendesign und eine Komponentenalterung und damit ein erhöhtes Risiko aufweisen“. Sprich: Alle Erkenntnisse aus den schweren Störfällen in Three Mile Island und Tschernobyl sind in das Sicherheitsdesign einer so alten Anlage wie in Borssele gar nicht eingegangen, geschweige denn die Erkenntnisse infolge der Katastrophe von Fukushima oder des Angriffs auf das World Trade Center.

Hinzu kommen die zunehmenden Alterungs- und Verschleißeffekte, die die Sicherheit der alten Reaktoren weiter schwächen. Bei der Erneuerungen oder dem Austausch von Komponenten kann es zum Einsatz von nicht spezifikationsgerechten Komponenten oder auch zu Montagefehlern kommen.

Ebenso wie in Frankreich und den USA werden durch Laufzeitverlängerungen oder gar dem Neubau von Reaktoren notwendige Mittel zum Umstieg auf Erneuerbare Energie gebunden. Beispielhaft stellt eine Untersuchung des wirtschaftsnahen ifo-Institut für Deutschland fest, dass Laufzeitverlängerungen mittelfristig den Ausbau der Erneuerbaren Energien behindern und nicht zu einem geringeren CO2-Ausstoß führen würden. [1]

Von der Ausstiegs- zur Pro-Atom-Politik

Lange Zeit war die politische Debatte in den Niederlanden von einer weitgehenden Ablehnung der Atomenergienutzung geprägt. So sprachen sich in einer Umfrage im Jahr 2004 80 Prozent der Niederländer*innen gegen die Atomkraft aus. Schon 1994 wurden Subventionen für die Atomforschung gestrichen, 1996 beschloss das niederländische Parlament mit knapper Mehrheit den Ausstieg. 1997 ging das AKW Dodewaard vom Netz. Das AKW Borssele sollte 2004 abgeschaltet werden, was jedoch durch einen Gerichtsbeschluss verhindert wurde. [2]

Seit 2006 gibt es jedoch einen Kehrtschwenk in der niederländischen Atompolitik. Zuerst wurde entschieden, das AKW Borssele bis 2033 weiterzubetreiben. Dann empfahl der Sozial- und Wirtschaftsausschuss die Atomenergienutzung auszubauen. [2] Seitdem wird immer wieder über den Neubau von Atomkraftwerken in den Niederlande diskutiert. Zuletzt hatte das Kabinett Rutte vor einem Jahr angekündigt, Pläne für den Bau von zwei neuen Atomkraftwerken vorzulegen. Laut dem niederländischen Energieminister Jetten hat die Regierung 5 Milliarden Euro für die erste Entwicklung neuer AKW bereitgestellt. Als Standort bevorzugt die Regierung ebenfalls Borssele, aber auch andere Standorte sind noch im Rennen. Ebenfalls unklar ist das Design der geplanten Reaktoren. Als Nächstes muss die Regierung Unternehmen für den Bau und Betrieb der Anlagen finden. [3] Die endgültige Entscheidung sollte 2024 fallen, allerdings ist die Regierung in der Krise, die Koalition im Juli zerbrochen, Neuwahlen werden für den Herbst erwartet.

Und was passiert mit dem Atommüll?

Die Niederlande setzen wie Frankreich weiterhin auf die Wiederaufarbeitung bestrahlter Brennelemente. Trotz der aktuellen Ausbaupläne ist keine Lösung für die dauerhafte Lagerung von Atommüll in den Niederlanden in Sicht. Weder für schwach- und mittelradioaktiven, noch für hochradioaktiven Müll gibt es Programme für die Suche oder Errichtung von tiefengeologischen oder oberflächennahen dauerhaften Lagern. Im Gegenteil zeichnet sich ab, dass es schwierig werden wird, geeignete Gesteinsformationen in dem Land zu finden. Und so sucht das Land nach Lösungen, den strahlenden Müll in andere Länder zu exportieren. [4]

Bis dahin werden die radioaktiven Abfälle in verschiedenen Gebäuden auf dem Gelände des AKW Borssele gelagert. Das Zwischenlager ist als Langzeit-Zwischenlager für 100 Jahre genehmigt. Falls nötig soll der Müll bis zu 300 Jahre dort lagern können. [5] Auch radioaktiver Müll aus Krankenhäusern wird dort verarbeitet. Betrieben wird es von COVRA (Centrale organisatie voor radioactief afval), einer zu 100% im Besitz des niederländischen Finanzministeriums befindlichen Aktiengesellschaft. [6]

Das Zwischenlager für die hochradioaktiven Abfälle ist ein fensterloser Bunker, der laut Berechnungen dem Aufprall eines Kampfjets und einem Erdbeben der Stärke 6,5 standhalten soll. Die Abfallbehälter sind in 120 Betonröhren unter dem Hallenboden eingelassen. [7]

Übersicht über die niederländischen Atomanlagen

  • AKW Borssele, Druckwasserreaktor, Leistung netto 482 MW, Inbetriebnahme 1973
  • AKW Dodewaard, Siedewasserreaktor, Leistung netto 55 MW, Inbetriebnahme 1986, Stilllegung 1997
  • Urananreicherungsanlage der URENCO in Almelo
  • Forschungsreaktor der Technischen Universität in Delft
  • Neutronenquelle (High Flux-Reaktor) in Petten, Inbetriebnahme 1961
  • Neutronenquelle (Low Flux-Reaktor) in Petten, Inbetriebnahme 1960, Stilllegung 2010
  • Zwischenlager der COVRA in Nieuwdorp

Quellen

[1] BUND: Stellungnahme zum Scoping-Verfahren im Vorfeld der grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung zur Verlängerung der Laufzeit des niederländischen Atomkraftwerks Borssele, Juli 2023

[2] Global 2000: Atomkraft in den Niederlanden, abgerufen 24.08.2023

[3] Euractiv.com: Erstes Kraftwerk seit 50 Jahren: Niederlande kehren zum Atomstrom zurück, 22.06.2022

[4] Deutsche Welle: Suche nach dem Endlager von Christian Ignatzi, 13.04.2014

[5] Ensreg.eu: The Netherlands, abgerufen 24.08.2023

[6] Seite „Covra“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 29. November 2020

[7] GEO: Atommüll - wohin damit? abgerufen 24.08.2023