Studie: Aktuelle Probleme und Gefahren bei deutschen Zwischenlagern für hoch-radioaktive Abfälle

Die Suche nach einem tiefengeologischen Lager für hoch radioaktive Abfälle löst nicht das akute Zwischenlagerproblem. Eine Studie der Physikerin Oda Becker im Auftrag des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zeigt: Die Situation der 16 deutschen Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle ist weiterhin teils hoch problematisch. Es fehlen Genehmigungen, Sicherheitsvorkehrungen sind unzureichend, es gibt kein Gesamtkonzept. Der BUND fordert von der Bundesregierung endlich ein belastbares Zwischenlagerkonzept - transparent erarbeitet, mit Beteiligung der Öffentlichkeit.

Die Suche nach einem tiefengeologischen Lager für hoch radioaktive Abfälle löst nicht das akute Zwischenlagerproblem. Eine Studie der Physikerin Oda Becker im Auftrag des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zeigt: Die Situation der 16 deutschen Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle ist weiterhin teils hoch problematisch. Es fehlen Genehmigungen, Sicherheitsvorkehrungen sind unzureichend, es gibt kein Gesamtkonzept.

Eine risikoarme Zwischenlagerung, so Oda Becker, ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Endlagersuche. Sie fordert ein transparentes Verfahren für die Entwicklung eines neuen Zwischenlagerkonzepts mit einer umfassenden Bürgerbeteiligung. Dies wäre ein erforderlicher und zudem ein wirksamer Schritt in Richtung einer erfolgreichen Standortauswahl für ein geologisches Tiefenlager.

Von einer solchen risikoarmen Zwischenlagerung kann derzeit keine Rede sein. Oda Becker identifiziert in ihrer Studie folgende aktuellen Probleme:

Erhebliche Verlängerungen der bisher genehmigten Lagerdauern und daraus resultierende Probleme

Die Genehmigungen zur Aufbewahrung der abgebrannten Brennelemente und der Abfälle aus der Wiederaufarbeitung in den Zwischenlagern sind auf 40 Jahre befristet. Vor allem aber ist auch die Lagerung hoch-radioaktiver Abfallstoffe in den einzelnen Behältern jeweils auf 40 Jahre befristet. Mit einem Umräumen der Behälter ist die aus der Verlängerung entstehende sicherheitstechnische Problematik nicht gelöst. Das Ende der Genehmigungen für die derzeit betriebenen Zwischenlager (2034-2047) steht nicht in Einklang mit den offiziellen Plänen zur Inbetriebnahme eines geologischen Tiefenlagers (etwa 2050).

Mit zunehmender Zwischenlagerdauer ist von einer alterungsbedingten Veränderung der Materialien bzw. des Zustandes von Behälterkomponenten und bestrahlten Brennelementen bzw. Kokillen auszugehen. Alterungseffekte können negative Auswirkungen auf die Sicherheit der Zwischenlagerung haben.

In Deutschland sind zurzeit nur rechnerische Nachweise mit entsprechenden Annahmen möglich. Es ist  nicht vorgesehen, das Behälterinnere zu untersuchen. Es wird aber von fast allen Expertinnen und Experten immer wieder auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass reale Daten über den Zustand im Behälter erforderlich sind, um Prognosen aufstellen zu können. Weitere, auch nationale, Forschungen sind deshalb nötig. Untersuchungsprogramme zum Langzeitverhalten von Behälterkomponenten (z. B. Metalldichtungen) und Inventaren (z. B. Brennstabintegrität) für eine verlängerte Zwischenlagerung sind mit hohem Zeit- und Kostenaufwand verbunden und sollten frühzeitig initiiert werden.

Aufgrund der notwendigen Verlängerung der Lagerzeit wäre es dringend erforderlich, den Zustand des Behälterinventars und des Tragkorbs sowie weiterer Behälterbauteile zu überprüfen. Viele der theoretischen Berechnungen sind nicht durch praktische Untersuchungen verifiziert. Dies kann nur durch Öffnen von Behältern in einer Heißen Zelle geschehen. An allen Standort-Zwischenlagern könnte gegenwärtig das benachbarte Reaktorgebäude als „Heiße Zelle“ genutzt werden. Dies ist aber nur noch eine sehr begrenzte Zeit möglich. Aufgrund der notwendigen langen Lagerzeiten sollten an allen langfristigen Zwischenlagerstandorten während der gesamten zu erwartenden Betriebszeit „Heiße Zellen“ vorhanden sein, in denen ggf. der Austausch von Primärdeckeldichtungen sowie die Überprüfungen von Inventar und Einbauten im Behälterinnenraum möglich sind.

Unzureichender Schutz gegen Terrorangriffe

Laut BMU hatte sich zu bestimmten Angriffsszenarien im Nahbereich der Transport- und Lagerbehälter, die zu Schutzzielverletzungen führen können, die Bewertung und Erkenntnislage derart verändert, dass die Sicherungsmaßnahmen optimiert werden müssen. Für alle Zwischenlager wurde daher 2011 in einer Änderungsgenehmigung zur bestehenden Genehmigung eine „Erweiterung des baulichen Schutzes gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD)“ beantragt. Erst für zehn von 16 Zwischenlagern wurden die Genehmigungen bisher – acht Jahre – später erteilt.

Auch nach Durchführung der Nachrüstungen („Härtungen“) der Zwischenlager muss davon ausgegangen werden, dass eine bewaffnete und entschlossene Terrorgruppe in der Lage ist, in die Halle einzudringen. Zudem können sogenannte Innentäter (Personen, die im Zwischenlager tätig sind) in die Lagerhalle gelangen. Insbesondere aufgrund der langen zu erwartenden Lagerzeiträume muss eine deutliche Verbesserung des Schutzes der zwischengelagerten abgebrannten Brennelemente und hoch-radioaktiven Abfälle gegen Terrorangriffe erfolgen.

Spezielle Probleme

Rückführung der restlichen Abfälle aus der Wiederaufarbeitung

Von 20 Behältern mit hoch-radioaktivem Abfall aus dem britischen Sellafield sollen je sieben in die SZL Isar und Brokdorf sowie sechs in das SZL Biblis transportiert werden. Hierfür sind Behälter der Bauart CASTOR HAW28M vorgesehen. Diese Transporte sollen ab 2020 erfolgen. Die fünf Behälter mit mittel-radioaktivem Abfall aus dem französischen La Hague sollen frühestens 2021 zum SZL Philippsburg transportiert werden. Am 19.12.2019 erhielt das SZL Biblis die Genehmigung zur Zwischenlagerung von bundesdeutschen Abfällen aus der Wiederaufarbeitung in Sellafield. (BASE 2020a) Die Änderungsgenehmigungen für die Aufnahme der Behälter aus der Wiederaufarbeitung in die Standort-Zwischenlager sollten im Rahmen von einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt werden. Stattdessen hat die Bundesatomaufsicht hinter verschlossenen Türen Vorgespräche mit den AKW-Betreibern geführt.

Fehlende Genehmigung für die Zwischenlager Jülich und Brunsbüttel

In Jülich lagern seit dem 30.06.2013 152 Behälter mit graphithaltigen AVR-Brennelementen ohne gültige Genehmigung. Dieser Zustand wird vermutlich noch eine Weile andauern. Die fehlenden Nachweise betreffen vor allen Dingen die Erdbebensicherheit. Statt schnellst möglich eine konstruktive bauliche Verbesserung anzustreben, wird versucht das Problem anderweitig zu lösen und die Brennelemente entweder in die USA zu exporten oder in das TBL Ahaus, dessen Genehmigung aber auch 2036 endet.

Auch im SZL Brunsbüttel lagern die Brennelemente seit sieben Jahren ohne Genehmigung. Mit Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Schleswig (4 KS 3/08) am 19.06.2013 wurde die Genehmigung für das SZL Brunsbüttel aufgehoben; eine Revision wurde nicht zugelassen. Laut Genehmigungsbehörde lässt sich zur Dauer des Genehmigungsverfahrens keine Angabe machen. Auch nach Aufhebung der Genehmigung aufgrund begründeter Zweifel an den Sicherheitsnachweisen werden die Behälter weiter im Zwischenlager aufbewahrt. Rechtsgrundlage für die aktuelle Aufbewahrung der bestrahlten Brennelemente ist eine unbefristete Anordnung der Aufsichtsbehörde.

Lagerung des waffenfähigen Materials aus FRM II im TBL Ahaus

Die abgebrannten Brennelemente des Garchinger Forschungsreaktors FRM II enthalten 87,5% angereichertes und damit waffenfähiges Uran. Es ist geplant, dass ab Mitte/Ende 2020 bis 2036 ca. 21 CASTOR-Behälter mit Brennelementen aus dem FRM II nach Ahaus transportiert werden. Dort sollen sie über Jahrzehnte in einem relativ schlecht geschützten Zwischenlager in Ahaus lagern, dessen Betriebsgenehmigung zudem bereits 2036 und damit deutlich vor der geplanten Inbetriebnahme des geologischen Tiefenlagers endet. Diese Vorgehensweise ist unter Risikogesichtspunkten unvertretbar.

Unnötige Transporte

Ein Integritätsverlust eines Behälters während des Transports durch einen Unfall oder einen Terrorangriff würde massive Strahlendosen in der Umgebung verursachen. Es ist wenig nachvollziehbar, warum ohne vorhandenes Gesamtkonzept für die langfristige Zwischenlagerung aktuell Transporte erfolgen. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass die hoch-radioaktiven Stoffe häufiger und über größere Strecken als erforderlich transportiert werden müssen. Das gilt auch und insbesondere für die Transporte aus Nicht-Leistungsreaktoren zum TBL Ahaus. Besonders problematisch ist, dass der FRM II mit hoch angereichertem Uran betrieben wird, das für den Bau von Atombomben verwendet werden kann (Proliferationsrisiko).

Dezentrale Zwischenlager direkt an den Standorten der Erzeugung sind gegenüber zentralen Lagern vorzuziehen, da sie die erforderlichen Transporte von radioaktiven Stoffen und das damit verbundene Risiko minimieren. Das gilt aber nur dann, wenn die Zwischenlager ausreichend geschützt sind. Ein durch konstruktive Maßnahmen gesicherter Transport in ein besser gesichertes Lager kann insgesamt die Risiken für die Bevölkerung minimieren. In einem Abwägungsprozess sollten die Risiken von notwendigen Lagerungen und Transporten im Rahmen eines Gesamtkonzeptes für die Zwischenlagerung bewertet werden. Die dennoch notwendigen Transporte sollten unter geeigneten konstruktiven Sicherungsmaßnahmen erfolgen.

Unplausibles Eingangslager

Um die zeitliche Lücke zwischen dem Ende der Zwischenlagergenehmigungen und der Inbetriebnahme des Endlagers zu schließen, sieht das Nationale Entsorgungsprogramm die schnelle Errichtung eines großen Eingangslagers am Endlagerstandort vor.

In diesen Planungen wird ausgeblendet, dass eine Inbetriebnahme um das Jahr 2050 von vielen Experten für unrealistisch gehalten wird. Zudem wird die Einlagerung selbst voraussichtlich 20-30 Jahre andauern. Das zentrale Eingangslager kann laut NaPro bereits nach der ersten Teilgenehmigung des Endlagers errichtet werden. Mit der ersten Teilgenehmigung für das Endlager besteht jedoch weder Rechtssicherheit noch die Garantie, dass das Endlager tatsächlich in Betrieb genommen wird. Insofern könnten, falls sich der Standort als ungeeignet für ein Endlager herausstellt, eine Vielzahl von Transporten an einen neuen Standort erforderlich sein.

Überwachung und Strahlenschutz im Lagerbetrieb

Für das Verhalten der Materialien, welche die Dichtheit bzw. deren Überwachung gewährleisten sollen, fehlen die Nachweise über die wahrscheinlich notwendige, lange Lagerzeit. Eine kontinuierliche Messung der Raumluft im Lagergebäude bzw. der Abluft würde ein diversitäres Element in der Überwachung des Zwischenlagers darstellen. International ist eine Überwachung der Raumluft in Zwischenlagern für abgebrannte Brennelemente mit vergleichbarem Lagerkonzept durchaus üblich.

In den letzten Jahren zeigt sich nach Auffassungen einiger Forschungsgruppen, dass ionisierende Strahlung bereits im Niedrigdosisbereich negative Wirkungen hat. Es wird u.a. vom BUND gefordert, dass internationale und nationale Grenzwerte im Strahlenschutz überarbeitet und gesenkt werden. Diese Fragestellungen und die Gewährleistung eines erweiterten Strahlenschutzes der Bevölkerung müssen aufgrund der langen Betriebszeit der Zwischenlager dringend öffentlich diskutiert werden.

Oda Becker: Aktuelle Probleme und Gefahren bei deutschen Zwischenlagern für hoch-radioative Abfälle, Studie im Auftrag des BUND, September 2020

Vortrag von Oda Becker im Rahmen der Online-Veranstaltungsreihe "Über GAUkeleien und KERNkompetenzen":

Video zum Vortrag von Oda Becker

Video zur anschließenden Diskussion

Präsentation zum Vortrag