Die Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima sind zwar in der Bevölkerung noch präsent, aber weitgehend historisiert und als „Problem der anderen“ ad acta gelegt. Die gesundheitlichen Gefahren im „Normalbetrieb“ von Atomanlagen sind hingegen kaum präsent, werden oft verschwiegen und übersehen. Die jetzt vorgelegte Studie zur chronischen radioaktiven Niedrigstrahlung benennt anhand zahlreicher nationaler wie internationaler wissenschaftlicher Arbeiten das besondere Risiko der Beschäftigten in Atomanlagen, insbesondere auch das der bei Fremdfirmen Angestellten. Bei den Abrissarbeiten der AKWs stellt die Möglichkeit der Inkorporation von radioaktivem Staub ein besonderes Problem dar. Das Risiko der Umgebungskontamination hingegen trifft die gesamte Bevölkerung um eine Atomanlage.
Einige der Autor*innen haben schon 2013 im „Ulmer Papier“ der IPPNW den damaligen Forschungsstand zur Niedrigstrahlung zusammengefasst. In der aktuellen Studie sind neuere strahlenepidemiologische Forschungen ergänzt (u.a. INWORKS-Studie, Studien zu spezifischen Krebserkrankungen) und umfassend vertieft. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass der Betrieb von Atomanlagen und der Umgang mit radioaktiven Stoffen auch bei Einhaltung der aktuell geltenden Dosisgrenzwerte der Strahlenschutzverordnung mit gesundheitlichen Risiken verbunden ist. Auch unterhalb der Dosisgrenzwerte gibt es ein Risiko für später tödlich verlaufende Krebserkrankungen und Schäden bei Nachkommen. Das Risiko wird umso größer, je größer die Dosis ist. Zudem wird zunehmend deutlich, dass z.B. auch gutartige Hirntumore und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zusammenhang mit ionisierender Niedrig-Strahlung stehen.
Die Autor*innen fordern deshalb, dass die dokumentierten Gesundheitsschäden, die durch den „Normalbetrieb“ von Atomanlagen entstehen, bei der Abwägung von Risiken und Nutzen der Atomenergie einfließen müssen (vgl. S. 43.)
Die Studie scheut nicht davor zurück, auch die politische Einflussnahme der Atom(waffen)-Lobbyisten auf die Interpretation von wissenschaftlicher Forschung zu benennen. „Die seit Beginn der sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie dominierende Vertuschungs- und Verharmlosungsstrategie hat auf allen Gebieten des Strahlenschutzes, beim sogenannten Normalbetrieb von Atomanlagen, aber auch in der medizinischen Diagnostik viele Opfer gefordert und es besteht die Gefahr, dass sich dies fortsetzt. Das gilt über die kommenden Jahrzehnte besonders für den Rückbau von Atomkraftwerken. Hier braucht der Strahlenschutz für Beschäftigte und die Bevölkerung eine stärkere Berücksichtigung der immer weiter zunehmenden Evidenz aus der internationalen Forschung und Wissenschaft zur Auswirkung der Niedrigstrahlung. Ein rationaler Umgang mit den Risiken ionisierender Strahlung muss jetzt beginnen und auch die Zwischen- und Endlagerung der radioaktiven Abfälle umfassen (S.48)“.
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