EU-Taxonomie: Finanzspritze für die desaströse Atompolitik Frankreichs

Frankreichs Energiepolitik steht mit dem Rücken zur Wand. Der Energiekonzern und AKW Betreiber Electricité de France (EDF) ist hoch verschuldet. Das Land ist fast komplett abhängig von Atomstrom. Doch die Atommeiler sind extrem anfällig, derzeit stehen 15 Reaktoren still. Der Reaktorbaukonzern AREVA wurde 2017/18 zerlegt und umstrukturiert, weil ihn die Neubaukosten für die Atomkraftwerke in Flamanville (Frankreich) und Olkiluoto (Finnland) in die Knie zwangen. Und in 2021 mussten auch noch die beiden einzigen weltweit in Betrieb befindlichen AKW-Blöcke des Typs Europäischer Druckwasserreaktor (EPR) in Taishan (China), die AREVA gebaut hatte, aufgrund von Konstruktionsfehlern abgeschaltet werden. Doch Frankreich will Atommacht bleiben und dazu gehört neben dem militärischen Sektor auch der Bau und Betrieb von Atomkraftwerken. Finanziell schafft die Regierung das alleine nicht, deshalb soll jetzt die EU-Taxonomie die desaströse Atompolitik Frankreichs retten.

Quelle: wikimedia, Autor: Sting, Roulex_45, Domaina

Frankreichs Energiepolitik steht mit dem Rücken zur Wand. Der Energiekonzern und AKW Betreiber Electricité de France (EDF) ist hoch verschuldet. Das Land ist fast komplett abhängig von Atomstrom. Doch die Atommeiler sind extrem anfällig, derzeit stehen 15 Reaktoren still. Der Reaktorbaukonzern AREVA wurde 2017/18 zerlegt und umstrukturiert, weil ihn die Neubaukosten für die Atomkraftwerke in Flamanville (Frankreich) und Olkiluoto (Finnland) in die Knie zwangen. Und in 2021 mussten auch noch die beiden einzigen weltweit in Betrieb befindlichen AKW-Blöcke des Typs Europäischer Druckwasserreaktor (EPR) in Taishan (China), die AREVA gebaut hatte, aufgrund von Konstruktionsfehlern abgeschaltet werden. Doch Frankreich will Atommacht bleiben und dazu gehört neben dem militärischen Sektor auch der Bau und Betrieb von Atomkraftwerken. Finanziell schafft die Regierung das alleine nicht, deshalb soll jetzt die EU-Taxonomie die desaströse Atompolitik Frankreichs retten.

Electricité de France: Ohne Staatshilfen insolvent

Ende 2020 hatte die EDF bei einem Umsatz von rund 69 Mrd. Euro rund 42,3 Mrd. Euro Schulden. Der Gewinn lag im selben Jahr gerade einmal bei 149 Mio. Euro nach Steuern. [1] Zum Vergleich: Der deutsche E.ON-Konzern, dessen Umsatz mit knapp 61 Mrd. Euro etwas unterhalb des Umsatzes von EDF lag, konnte 2020 einen Gewinn nach Steuern von 1,02 Mrd. Euro einfahren. [2] Laut Prognose des französischen Wirtschaftsministeriums wird sich die Verschuldung von EDF bis 2028 auf fast 57 Mrd. Euro erhöhen. [3]

Die börsennotierte EDF ist zu 82,14 % im Besitz des französischen Staates, 15,13 % sind im Streubesitz. Die restlichen Anteile an den über 3,2 Mio. ausgegebenen Aktien halten die Electricité de France SA Employees Stock Ownership Plan (1,21 %), die Thornburg Investment Management, Inc. (0,38 %) sowie Andere (1,15 %). [4] Die Schulden von EDF werden durch den Hauptanteilseigner, den französischen Staat, gedeckt. Nur deshalb musste die EDF bisher keine Insolvenz anmelden.

Die Verschuldung von EDF reicht weit zurück, schon vor 20 Jahren belief sie sich auf 22 Mrd. Euro. Unrentable Investitionen im Ausland, hohe Gehalts- und Pensionslasten, hoher Investitionsbedarf bei den Atomkraftwerken und durch den Staat gedeckelte Strompreise tragen im Wesentlichen dazu bei. [5] 2017/18 musste EDF die marode Reaktorbausparte des ebenfalls staatlichen Konzerns AREVA übernehmen. Die Zukunft sieht nicht rosiger aus: Die beschlossene Laufzeitverlängerung auf 50 Jahre wird immense Nachrüstungskosten mit sich bringen, für den Rückbau der Atomkraftwerke und die Atommülllagerung fehlen ausreichende Rückstellungen. [6]

Klimapolitik sieht anders aus

Im Oktober 2021 kündigte Präsident Macron an, dass die Strompreise zwischen Februar 2022 und Februar 2023 maximal um 4 Prozent steigen dürfen. Ohne staatliche Deckelung, so die Analyst*innen, droht eine Erhöhung um bis zu 20 Prozent. Dies wäre ein ein großes soziales Problem, schließlich heizen knapp 73 Prozent der privaten Haushalte in Frankreich mit Strom. Die Deckelung der Strompreise soll mit einem Verzicht auf Steuereinnahmen in Höhe von 4 Mrd. Euro auf den Endverbrauch von Strom herbeigeführt werden. Zur Gegenfinanzierung will die französische Regierung unter anderem 2 Mrd. Euro weniger für die Förderung von erneuerbaren Energiequellen ausgeben. [7]

Eine Diversifizierung der Stromerzeugung in Frankreich ist dringend notwendig. 67 Prozent des Stroms in Frankreich wird durch Atomkraftwerke erzeugt, 7 Prozent durch Windkraft und nur 2 Prozent durch Photovoltaik. [8] Zum Vergleich: In Deutschland waren es 2020 12,5 Prozent durch Atomenergie, 27 Prozent durch Windkraft und 10,4 Prozent durch Photovoltaik. [9]

Mehr als ein Viertel der französischen Atomkraftwerke stehen still

Ende 2021 standen 15 der 56 französischen Atomkraftwerke still. Die Kraftwerke sind alt, viele sind baugleich. Werden bei einem Reaktor Fehler entdeckt, müssen gleichartige oft ebenfalls abgeschaltet werden: Im Oktober 2021 wurden bei einer regulären Inspektion im AKW Civaux Risse an Schweißnähten entdeckt und beide Blöcke abgeschaltet. Nachdem festgestellt wurde, dass es sich um Spannungskorrosion handelt, die einen Austausch der betroffenen Teile erforderlich macht, wurden Ende des Jahres auch die beiden baugleichen Reaktoren in Chooz vom Netz genommen. Dabei handelt es sich bei den vier Reaktoren um die jüngste Generation an französischen AKW. 18 Reaktoren sind bereits älter als 40 Jahre. Damit steigt das Risiko von Störfällen enorm. [10]

Frankreich ist aufgrund der Anfälligkeit seiner Atomkraftwerke immer wieder auf Stromimporte aus dem Ausland angewiesen. [11] [12] [13] Gleichzeitig ist die Aktie von EDF zum Jahreswechsel 2021/2022 auf rasanter Talfahrt. [14]

Anfang 2021 beschloss die französische Regierung, die Laufzeit ihrer Atomkraftwerke von 40 auf 50 Jahre zu verlängern. Allerdings fordert die französische Atomaufsicht Autorité de sûreté nucléaire (ASN) für die 32 ältesten Reaktoren eine Aktualisierung der Konstruktionspläne, eine Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen, Reparaturen und den Austausch von Komponenten. [15] Der französische Rechnungshof beziffert die Kosten dafür bis 2030 auf 100 Mrd. Euro. [16] Hier soll die Aufnahme von Atomenergie in die EU-Taxonomie als nachhaltige Energie helfen. Werden Atom-Investments in die europäischen Nachhaltigkeitskriterien (EU-Taxonomie) aufgenommen, so werden sie unmittelbar attraktiver für Banken, Aktienfonds und Versicherungen, aber auch für andere Unternehmen der Privatwirtschaft.

Doch damit nicht genug. Während sein Vorgänger, Präsident Hollande, noch eine Reduzierung des Atomstromanteils bis 2025 auf 50 Prozent avisiert hatte, kündigte Macron Mitte November 2021 in einer Fernsehansprache den Bau neuer, kleinerer Atomreaktoren in seinem Land an. Ganz offen betont Macron dabei den Zusammenhang ziviler und militärischer Nutzung der Atomkraft, energie- und machtpolitische Souveränität gehörten zusammen. Dazu wolle er 1 Mrd. Euro in die Erforschung sogenannter Small Modular Reactors (SMR), also kleiner modularer Minireaktoren stecken. [17]

Solche SMR erscheinen derzeit für Atomkraft-Befürworter wie Emanuel Macron, Bill Gates oder Boris Johnson als Rettungsanker der niedergehenden Atomindustrie. Ob diese Reaktoren, falls sie einmal serienreif entwickelt werden, tatsächlich Atomstrom verbilligen ist fraglich. Sicher ist jedoch, dass sie die Gefahr der Proliferation, also der Weitergabe von bombenfähigem Material und Technik, ebenso drastisch erhöhen wie die Gefahren einer terroristischen Einwirkung von außen. Selbst wenn die Gesamtfreisetzung von Radioaktivität bei einem Unfall aufgrund der Größe geringer wäre, so steigt mit der Anzahl der Reaktoren die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls. Und das ungelöste Problem des radioaktiven Abfalls bleibt bestehen. [18] [19] Auf jeden Fall behindern sie alleine durch die Bindung von Kapital die notwendige Transformation zu einer regenerativen Energieversorgung.

Framatome, ARVEA, ORANO – der Name wechselt, die Probleme bleiben

Nicht nur die Energieversorger, auch die Reaktorbausparte in Frankreich ist in eine Schieflage geraten, die ohne staatliche Subventionen am Ende ist. Im September 2001 wurden die mehrheitlich staatlichen Unternehmen Framatome (Reaktorbau) und Cogema (Urangewinnung, Anreicherung und Wiederaufarbeitung) zur AREVA-Gruppe fusioniert. Ausbleibende Aufträge und Probleme beim Bau der Reaktoren in Olkiluoto (Finnland) und Flamanville (Frankreich) führten über Jahre zu dramatischen finanziellen Verlusten. Das AKW Olkiluoto-3 kostet statt des vereinbarten Fixpreises von 3 Mrd. Euro mittlerweile 9 Mrd. Euro, die Bauzeit hat sich von 4 auf 17 Jahre verlängert. [20] Mindestens genauso lange dauert der Bau des AKW Flamanville 3, der statt 3,3 Mrd. sogar 19,1 Mrd. Euro kosten wird. [21]

Nachdem der französische Staat insgesamt 4,5 Mrd. in das marode Unternehmen zuschießen musste, wurde der AREVA-Konzern 2017 zerschlagen. Unter dem Namen AREVA verblieb der Bau des Atomreaktors Olkiluoto 3. Die restliche Reaktorbausparte, 75,5 % des AREVA-Konzerns, wurde am 01.01.2018 als Tochter von EDF übernommen und firmiert wieder unter dem alten Namen Framatome. Sie ist für Bau und Instandhaltung anderer Atomkraftwerke sowie die Brennelementfertigung zuständig. Uranabbau, Urananreicherung und Wiederaufarbeitung wurden in ein eigenes Unternehmen mit dem Namen Orano ausgegliedert.

Nicht nur, dass die beiden ehemaligen „Vorzeige-Projekte“ für den Reaktorneubau in Europa - Flamanville (Frankreich) und Olkiluoto (Finnland) - extrem teuer und langwierig geworden sind, die Zukunft des einstmals hochgepriesenen neuen Reaktortyps Europäischer Druckwasserreaktor (EPR) steht inzwischen gänzlich in Frage. Die beiden einzigen weltweit in Betrieb befindlichen AKW-Blöcke des Typs EPR in Taishan (China) mussten in 2021 wegen des Austritts von radioaktiven Gasen abgeschaltet werden. Inzwischen ist klar, dass die Schäden auf Vibrationen zurückzuführen sind, deren Ursache ein Konstruktionsfehler des EPR ist. [22]

Es ist zu befürchten, dass die EU-Taxonomie zum Tropf für die französische Atompolitik wird. Mit Klimaschutz oder Nachhaltigkeit hat das allerdings nichts zu tun.

Quellen

alle abgerufen am 06.01.2022

[1] EDF Group: 2020 Management results - Group results

[2] finanzen.net: E.ON Aktie

[3] telepolis: Von Renaissance der Atomkraft weltweit keine Spur, 09.12.2021

[4] consorsbank: Firmenprofil von EDF

[5] energie-chronik.de: EDF erwartet rote Zahlen und überprüft ihre Expansionsstrategie, August 2002

[6] sonnseite.com: Das Märchen vom billigen französischen Atomstrom, 18.11.2021

[7] Wirtschaftswoche: Frankreich deckelt Preise für Strom und Gas, 01.10.2021

[8] energie-zukunft.eu: Frankreich will Solarenergie-Ausbau beschleunigen, 12.11.2021

[9] strom-report.de: Deutscher Strommix: Stromerzeugung Deutschland bis 2021

[10] energiefirmen.de: Stromausfall - Fast 30 Prozent der franzölsischen Atomkraftwerke sind abgeschaltet, 18.12.2021

[11] iwr.de: Kältewelle. Frankreich aus Stromimporte aus Deutschland angewiesen - Strompreise klettern, 08.02.2021

[12] Westdeutsche Zeitung: Hitzewelle ist Achillesferse der Atomkraft, 31.07.2019

[13] energiefirmen.de: AKW-Ausfälle: Frankreich auf Stromimporte angewiesen, 2017

[14] finanzen.net: EDF-Aktie

[15] heise.de: Französische Atomaufsicht gibt bedingt grünes Licht für AKW-Laufzeitverlängerung, 25.02.2021

[16] handelsblatt.com: Atomkraft, ja bitte? Was Frankreichs Kernenergie-Offensive für Deutschland bedeutet

[17] süddeutsche.de: Renaissance der Atomkraft in Frankreich, 10.11.2021

[18] Wiener Umweltanwaltschaft: Faktencheck SMR: kleine Atomkraftwerke als neue Lösung?

[19] base.bund.de: Small Modular Reactors - Was ist von den neuen Reaktorkonzepten zu erwarten?

[20] heise.de: Atomkraft: Finnischer Reaktor Olkiluoto-3 geht in Betrieb, 23.12.2021

[21] Radio Dreyeckland: Erneutest Desaster beim AtKW-Pojekt Flamanville, 22.03.2021

[22] der standard.de: Reaktorvorfall in Südchina im Sommer wohl geklärt, 28.11.2021