17. Atomgesetznovelle - Bundesregierung schafft Bürgerrecht ab

Mit der 17. Novelle des Atomgesetzes hebeln Bundesregierung und Bundestag die Rechte von Bürgerinnen und Bürger aus. Künftig ist der Schutz vor einer atomaren Katastrophe infolge von Störmaßnahmen oder sonstiger Einwirkungen Dritter (SEWD) nicht mehr einklagbar.

Mit der 17. Novelle des Atomgesetzes hebeln Bundesregierung und Bundestag die Rechte von Bürgerinnen und Bürger aus. Künftig ist der Schutz vor einer atomaren Katastrophe infolge von Störmaßnahmen oder sonstiger Einwirkungen Dritter (SEWD) nicht mehr einklagbar.

Das Bundesumweltministerium argumentiert, dass es Aufgabe der Fachbehörden sei, den erforderlichen Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstiger Einwirkungen Dritter (SEWD) zu bewerten (Funktionsvorbehalt der Exekutive). Hierfür seien sie mit einer Vielzahl von Sachverständigen, insbesondere für Terrorismusabwehr und Kerntechnik, besonders gerüstet. Die daraufhin erfolgenden Genehmigungen seien damit per se „zutreffend“. Da die Genehmigungsbehörden vor Gericht aber aus Geheimschutzpflichten die getroffenen Erwägungen und Maßnahmen in den gerichtlichen Verfahren nicht vollständig offenlegen könne, tendieren die Gerichte dazu, eigene fachliche Bewertungen an die Stelle der Bewertungen der Behörden und deren Sachverständigen zu setzen. Dies erschwere die Verteidigung zutreffender Genehmigungsentscheidungen vor Gericht.

Die Folge: Gerichtsentscheidungen, die nicht im Sinne der Genehmigungsbehörde, dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BaSE, vorher Bundesamt für Strahlenschutz) gefällt worden sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinen Urteilen zum Standortzwischenlager Brunsbüttel (BVerwG 7 C 39.07, 10.04.2008) sowie zum Standortzwischenlager Unterweser (BVerwG 7 C 1.11, 22.03.2012) zwar den Funktionsvorbehalt der Exekutive bestätigt, aber auch seine Grenzen aufgezeigt. Das BVerwG hat festgestellt, dass Anwohnerinnen und Anwohner auch den Schutz vor SEWD einklagen können und dass dieser Schutz auch vor Gericht belegt werden muss. Infolgedessen hat das OVG Schleswig die Genehmigung des Standortzwischenlagers Brunsbüttel aufgehoben, weil der Schutz gegen den gezielten Absturz des A380 sowie gegen einen Angriff mit Hohlladungsgeschossen weder vom Betreiber noch von der Genehmigungsbehörde nachgewiesen worden ist.

Durch die gesetzliche Verankerung des Funktionsvorbehalts der Exekutive im Atomgesetz ist es künftig unmöglich, Entscheidungen der Exekutive zum SEWD von Gerichten überprüfen zu lassen.

Rechtsanwalt Dr. Ulrich Wollenteit schreibt in einem Gutachten für den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Greenpeace dazu: „Dem Bedürfnis der Exekutive nach Immunisierung behördlicher Entscheidungen vor Klägern und richterlicher Kontrolle sollen elementare Rechtsgrundsätze geopfert werden“ und kommt zu dem Schluss, dass das Vorhaben gegen die Verfassung verstößt.

Doch auch in Hinsicht auf die Schutzziele ist die Gesetzesnovelle problematisch. Paragraf 42 lautet jetzt:

„Ziele der Maßnahmen nach § 41 AtG für den Schutz kerntechnischer Anlagen und Tätigkeiten gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter sind die Verhinderung

  1. der Freisetzung oder Entwendung von Kernbrennstoffen oder ihrer Folgeprodukte in erheblichen Mengen und der missbräuchlichen Nutzung ionisierender Strahlung und
  2. der Entwendung von Kernbrennstoffen in Mengen, die zur Herstellung einer kritischen Anordnung ausreichen.“

Was aber ist „erheblich“? Ohne die Definierung klarer Grenzwerte wird hier ein problematischer, wenn nicht sogar gefährlicher Interpretationsspielraum geschaffen - und dies unter gleichzeitiger Aberkennung von Klagerechten. Ebenfalls unverständlich ist, dass nicht jedwede Entwendung von Kernbrennstoffen ausgeschlossen werden soll. Schließlich ergäbe eine Entwendung unkritischer Mengen aus mehreren Anlagen in der Summe eben doch eine kritische Masse.

Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz), Stand 10.08.2021

Referententwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Nukleare Sicherheit: Entwurf eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes, Stand 13.11.2020

Rechtsanwalt Dr. Ulrich Wollenteit: Stellungnahme im Rahmen der verbändebeteiligung gem. § 47 GGO im Auftrag von Greenpeace e.V. und Bunde für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zum Referententwurf eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomegesetzes, 07.12.2020

Gemeinsame Stellungnahme von BUND und Greenpeace, 08.12.2020

Oda Becker: Aktuelle Probleme und Gefahren bei deutschen Zwischenlagern für hoch-radioative Abfälle, Studie im Auftrag des BUND, September 2020