Laufzeitverlängerung - sinnlos, gefährlich und teuer

Update 25.01.2023

Am 11.11.2022 beschloss der Deutsche Bundestag, die Berechtigung für die Stromerzeugung in den drei Atomkraftwerken Ohu 2 (Isar 2), Neckarwestheim 2 und Emsland (Lingen 2) bis zum 15. April 2023 zu verlängern. Eine Entscheidung, die weniger mit Versorgungssicherheit und Preissenkung zu tun hat, als mit Symbolpolitik. Schließlich kann der Streckbetrieb nur einen vernachlässigbaren Beitrag zur Netzsicherheit leisten. Obwohl der Stromverbrauch deutlich gesunken ist, wird der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke bis zum 15.04.2023 einfach durchgezogen. Gleichzeitig verhindert insbesondere das AKW Emsland (Lingen) im „Windstromland“ Niedersachsen, dass erzeugter Windstrom durch die Stromleitungen geleitet und genutzt werden kann. Die Brennelemente im AKW Neckarwestheim 2 wurden bereits rekonfiguriert, das AKW Emsland (Lingen) ist zu diesem Zweck am 21.01.2023 abgeschaltet worden. 

Aktion gegen die Verabschiedung der Atomgesetz-Novelle

Update 25.01.2023

Am 27.09.2022 erklärte Wirtschaftsminister Habeck (Grüne), dass er einen Weiterbetrieb der beiden AKW Ohu 2 (Isar 2) und Neckarwestheim 2 über den 31.12.2022 hinaus "Stand heute" für nötig halte. [1] Gleichzeitig veröffentlichte er seine Vereinbarungen mit den beiden AKW-Betreibern für den Weiterbetrieb. [2] Nachdem die FDP trotz ihrer Wahlniederlage in Niedersachsen auf einem längeren Weiterbetrieb der Atomkraftwerke beharrte, erzwang Bundeskanzler Scholz am 17.10. einen Kompromiss: Auch das AKW Emsland solle bis zum 15. April weiterbetrieben werden dürfen, ein Neukauf von Brennelementen sei aber weiterhin ausgeschlossen. [3] Bei dieser politischen Entscheidung war es völlig unerheblich, dass es im Norden gar keine Stromengpässe gibt, da mehr als genug Energie in den Windkraftwerken erzeugt wird. Die Laufzeitverlängerung wurde im Eiltempo durch den Bundestag gebracht. Am 2.11. wurde der Gesetzentwurf eingebracht, am 9.11. befasste sich der Umweltausschuss des Deutschen Bundestages damit in einer öffentlichen Anhörung [4] und am 11.11.2022 wurde die Verlängerung schon beschlossen, begleitet von einer Protestaktion mehrerer Initiativen und Umweltverbände. [5]

Ob dies das letzte Wort sein wird, ist fraglich. Kurz vor Ende der Atomenergienutzung in Deutschland wittern die Verfechter der Atomkraft Morgenluft angesichts möglicher Energieengpässe durch den Ukrainekrieg und die verhängten Sanktionen gegen Russland. Jahrelang wurde versucht, Atomkraft wieder hoffähig zu machen, in dem der Atomstrom als billig und klimafreundlich deklariert wurde - von denselben Akteur*innen, die einen Energiepreisdeckel oder ein Tempolimit ablehnen. Das Umweltbundesamt hat aktuell festgestellt, dass durch ein Tempolimit (Autobahnen Tempo 100 und außerorts Tempo 80) jährlich 2,1 Milliarden Liter fossile Kraftstoffe in Deutschland eingespart werden könnten. Das entspräche 3,8 Prozent des Kraftstoffverbrauchs im Verkehrssektor. [6] Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt, dass ein Tempolimit fünf bis sieben Prozent der russischen Ölimporte reduzieren könnte. [6] Nachdem in der aktuellen Debatte auch der Verweis auf die Probleme bei der Gasversorgung nicht so richtig gezogen hat, da Atomkraft die Wärmeversorgung durch das Gas kaum ersetzen kann, ist das aktuelle Argument, die Solidarität mit Frankreich bzw. die Netzstabilität die durch die desolate Atompolitik Frankreichs in Frage stehen würde. Eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ist für die Energiesicherheit unnötig, hochriskant und senkt die Abhängigkeit von Russland in keiner Weise.

Atomenergie als Antwort auf das Atomenergie-Desaster Frankreichs?

Die Stromproduktion in Frankreich liegt aufgrund einer völlig verfehlten, einseitig auf Atomkraft setzenden Energiepolitik ziemlich darnieder. Seit Beginn 2022 wird bis auf wenige Ausnahmen täglich Strom aus Deutschland nach Frankreich in einer Größenordnung von bis zu über 100 Gigawattstunden (GWh) exportiert. Ein konventionelles oder nukleares Großkraftwerk erzeugt ca. 20 bis knapp 30 GWh pro Tag. Die deutschen Atomkraftwerke (und mindestens ein weiteres Kraftwerk) laufen also rechnerisch nur für den Export und stützen so die verfehlte Atomenergiepolitik Frankreichs, die trotz der offensichtlichen Probleme mit den Reaktoren weiterhin auf Atomkraft statt auf Erneuerbare Energie setzt.

Die Rolle der Grünen 

Befeuert wurde die Debatte um die Laufzeitverlängerung durch Grüne-Politiker*innen. So erklärte beispielsweise die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckart (Grüne) bereits am 24.7.2022. in einer Talkshow, dass Atomkraft notwendig werden könnte, um die Stromversorgung von Krankenhäusern aufrecht zu erhalten. [7] Selbst bei etwaiger Knappheit wird hier in Anbetracht der Kapazitäten Deutschlands ein unrealistisches (Horror-)Szenario aufgemalt, das Ängste schürt, anstatt eine zielorientierte Energiewende-Debatte voranzubringen.

Ebenfalls im Juli 2022 haben SPD und Grüne der Stadt München im Aufsichtsrat der Stadtwerke München beschlossen, sich für einen Weiterbetrieb des AKW Ohu 2 (Isar 2) einzusetzen. Die Stadtwerke München halten 25% an dem Atomkraftwerk. Die restlichen 75% sind im Besitz der PreussenElektra GmbH, einer 100%igen Tochter des E.ON-Konzerns. Die 2. Bürgermeisterin in München, Katrin Habenschaden (Grüne), verteidigte ihre Entscheidung gegenüber dem Bayerischen Rundfunk: „Die Versorgungssicherheit der Münchnerinnen und Münchner hat da für mich wirklich Vorrang". [8]

Die Grüne Umweltministerin Lemke, die die Atomaufsicht in Deutschland führt und für Reaktorsicherheit zuständig ist, hält sich bedeckt. Der Grüne Wirtschaftsminister führt seine Partei Stück für Stück aus der Ablehnung der Atomenergienutzung heraus, immer mit dem Verweis auf angebliche objektive Sachzwänge. So durften die Entscheidung für einen Reservebetrieb die Übertragungsnetzbetreiber begründen.

Im Wesentlichen außen vor bleibt dabei das Stromeinsparpotential, das in vielen Bereichen auf der Hand liegt. Auch eine stundenweise Reduzierung stromintensiver Produktion wäre ein Beitrag zur Netzstabilisierung. Während es im Gassektor bereits Vorkehrungen für eine eventuelle Rationierung von Gas gibt, ist dies im Stromsektor nicht der Fall.

Atomkraftwerke als Reserve?

Wirtschaftsminister Habeck hat im Juli 2022 die vier Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, Tennet und Transnet BW mit einem sogenannten "Stresstest" beauftragt. Sie sollten erklären, ob und gegebenenfalls wie die Stromnachfrage im Winter gedeckt und die Netzstabilität erhalten werden kann. 

50Hertz betreibt das Stromnetz auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und war vorübergehend im Besitz des Atomkonzerns Vattenfall. Derzeitige Anteilseigner von 50Hertz sind die börsennotierte belgische Holding Elia Group (80 Prozent) und die KfW Bankengruppe mit 20 Prozent. [9] Amprion ist eine Ausgründung von RWE, die heute noch 25,1 Prozent hält. Die andere Anteilseignerin ist mit 74,9 Prozent die M31 Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. Energie KG (ein Konsortium von überwiegend deutschen institutionellen Finanzinvestoren aus der Versicherungswirtschaft und von Versorgungswerken. Dazu zählen etwa die MEAG MUNICH ERGO, Swiss Life und Talanx sowie Pensionskassen). [10] Tennet ist eine Ausgründung von E.ON. Heutiger Eigentümer der Tennet Holding ist der Niederländische Staat. [11] Die Transnet BW ist eine Ausgründung von EnBW und immer zu 100 Prozent im Besitz des Energieversorgers EnBW, der auch das AKW Neckarwestheim 2 betreibt. [12]

Im Stresstest [13] wurden nach Vorgaben des Wirtschaftsministeriums verschiedene Szenarien geprüft. Parameter waren die Verfügbarkeit französischer Atomkraftwerke, mögliche Einschränkungen bei der Versorgung deutscher Kraftwerke mit Kohle auf dem Wasserweg wegen dauerhaftem Niedrigwasser, Nicht-Verfügbarkeit von Gaskraftwerken, extreme Kälte und ein deutlich erhöhter Verbrauch durch elektrische Heizlüfter.

Ergebnis: Je nach Szenario kann es im Winter stundenweise zu Netzengpässen kommen. Dagegen soll ein Bündel an Maßnahmen helfen. Laut Minister Habeck gehört dazu auch, die beiden AKW Ohu 2/Isar 2 und Neckarwestheim 2 am 31.12.2022 nicht endgültig abzuschalten, sondern in die Reserve zu überführen bzw. weiterzubetreiben. Und das, obwohl die Atomkraftwerke nur einen extrem kleinen Beitrag leisten könnten und selbst in einem sehr kritischen Strombedarfsszenario im Winter den Bedarf an Redispatchkraftwerken im Ausland nur um 0,5 GW senken können und nicht um die Nennleistung der AKW. [13]

Streckbetrieb 

Das Zauberwort in dieser Debatte um eine Laufzeitverlängerung heißt „Streckbetrieb“. Bei einem Streckbetrieb, der bereits in anderen AKW im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Laufzeit durchgeführt wurde, nimmt durch eine bewusste Reduktion der Kühlmitteltemperatur die Dichte des Kühlmittels im Reaktor zu. Die Neutronen werden besser abgebremst, wodurch mehr Neutronen für die Spaltung zur Verfügung stehen. Diesen Effekt macht man sich zu Nutze und betreibt den Reaktor über sein natürliches Zyklusende hinaus. Dadurch wird die Neutronen-Moderation verbessert und man kann ein bisschen mehr Energie aus dem Brennstoff rausholen als beim Betrieb mit 100 % Leistung. Die Stromproduktion wird durch Streckbetrieb nicht nur in die Länge gezogen, sondern insgesamt leicht erhöht. Das bringt nicht viel an zusätzlicher Energie. „Ein solcher Betrieb ist für mindestens 80 Tage realisierbar. Da ein Reaktorblock im Streckbetrieb täglich ca. 0,5 % seiner Leistung einbüßt, wäre er nach 80 Tagen noch bei ca. 60 % seiner ausgelegten Leistung.“ [14]

AKW Neckarwestheim 2

Das AWK Neckarwestheim 2 wurde zum 31.12.2022 abgeschaltet, der Reaktorkern rekonfiguriert und am 19.01.2023 wieder angeschaltet. Eigentlich hieß es, dass der Bundeswirtschaftsminister im Dezember entscheiden wollte, ob das AKW Neckarwestheim 2 in den Streckbetrieb gehen soll und diese Entscheidung im Januar nochmals überprüft werden soll. Mit dem "Machtwort des Kanzlers" ist dies hinfällig. Nach der Änderung des Atomgesetzes wird der Weiterbetrieb des AKW bis zum 15.04.2023 einfach durchgezogen mit anfangs 70%, am Ende 55% Leistung und ca. 1,7 TWh Stromproduktion. [2] 

Neckarwestheim 2 steht seit Jahren in der Kritik wegen der enormen Versprödung sicherheitsrelevanter Bauteile. Bisher wurden mehr als 300 Risse in den Rohren der Dampferzeuger entdeckt. Sie können zum Abriss der Rohre führen und einen schweren Kühlmittelverluststörfall auslösen, der bis zur Kernschmelze führen kann. [16] Am 08.06.2021 haben Anwohner*innen mit Unterstützung vom Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN) und .ausgestrahlt einen Eilantrag beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim gestellt, den Betrieb des AKW zu untersagen. Der VGH Mannheim hat diesen Eilantrag im April 2022 ohne Prüfung des Sachverhaltes zurückgewiesen. [17] Nachdem die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung von Neckarwestheim beschlossen hatte, setzte der VGH einen Termin für das Hauptsacheverfahren am 14. Dezember an. Die Klage wurde abgewiesen, eine Revision nicht zugelassen. Eine Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. [18]

AKW Ohu 2 (Isar 2)

Die Aussagen über die Situation im AKW Ohu 2 warend höchst widersprüchlich. Im April veröffentlichte der TÜV Süd eine Stellungnahme im Auftrag der bayerischen Landesregierung zur "Bewertung der konkreten erforderlichen technischen Maßnahmen für einen Weiterbetrieb des KKI 2 bzw. eine Wiederinbetriebnahme des Blocks C des KRB II". Er kommt bei Ohu 2 (Isar 2) zu dem Schluss, dass keine Drosselung der Leistung vor dem 31.12. nötig wäre und am Ende des Betriebszyklus Reaktivitätsreserven für einen Weiterbetrieb für ca. 80 Tage bestünden. Durch ein Umsetzen der vorhandenen Brennelemente könne der Reaktor sogar bis in den August 2023 betrieben und zusätzlich bis zu 5.160 GWh Strom erzeugt werden. [1]

Am 07.09.2022, nur zwei Tage, nachdem Habeck erklärte, Ohu 2 in die Reserve überführen zu wollen, wandte sich der Chef von PreussenElektra gegen die Pläne des Ministers. Knott erklärte in einem Brandbrief an Minister Habeck, dass in einem Streckbetrieb „ein flexibles Anheben oder Drosseln der Leistung nicht mehr möglich ist“. Minister Habeck fühlte sich missverstanden und stellte klar, dass es nicht um ein beliebiges Zu- und Abschalten der beiden Atomkraftwerke gehe, sondern dass im Dezember bzw. Januar die Lage erneut beurteilt und entschieden werde, ob die AKW in Streckbetrieb gehen sollten und dann für die folgenden Wochen in Betrieb bleiben würden - unabhängig, ob dies für die Versorgung bzw. Netzstabilität tatsächlich nötig sei. [20]

Zwei Wochen später wurde bekannt, dass es eine Leckage an einem Sicherheitsventil in Ohu 2 gibt. Nachdem PreussenElektra noch im August betont hatte, dass es kein Problem wäre, Ohu 2 bis Ende 2022 unter Volllast zu fahren und anschließend in den Streckbetrieb zu überführen, erklärt der Betreiber nun, dass das Ventil für den Streckbetrieb ausgetauscht werden muss und zwar noch im Oktober: "Bis 31. Dezember bereite das keine Probleme, die Anlage könne sicher weiterlaufen. Ganz anders sehe das bei einem möglichen Betrieb bis Mitte April aus - dann sei eine Reparatur fällig, und das rasch, noch im Oktober. Grund: Schon im November hätten die Brennelemente des Reaktorkerns "eine zu geringe Reaktivität, um die Anlage aus dem Stillstand heraus dann wieder hochzufahren"." [21] 

In der Vereinbarung zwischen dem Wirtschaftsminister und den Betreibern werden die Reserven nach unten korrigiert. Das leckende Ventil soll im Oktober in einem einwöchigen Stillstand ausgetauscht werden. Der Reaktor wird dann wieder weiterbetrieben. Eigentlich hieß es, dass der Bundeswirtschaftsminister im Dezember entscheiden wollte, ob das AKW Ohu 2 in den Streckbetrieb gehen soll. Mit dem "Machtwort des Kanzlers" ist dies hinfällig. Nach der Änderung des Atomgesetzes wird der Weiterbetrieb des AKW bis zum 15.04.2023 einfach durchgezogen mit anfangs 95% und am Ende 50% Leistung und ca. 2 TWh Stromproduktion. [2] 

Das AKW Ohu 2 (Isar 2) ist baugleich mit dem AKW Neckarwestheim und dem AKW Emsland. Anders als in Baden-Württemberg und in Niedersachsen wurde eine systematische Prüfung der Dampferzeuger-Heizrohre auf Risse jedoch in keiner der Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt. Auf Nachfrage des Umweltinstituts München im Juli 2019 [22] erklärte das Bayerische Umweltministerium, die meldepflichtigen Ereignisse im AKW Neckarwestheim 2 seien zwar grundsätzlich auf alle anderen Druckwasserreaktoren übertragbar. Da bislang bei wiederholter Prüfung einzelner Heizrohre im AKW Ohu 2 jedoch „keine Hinweise auf Spannungsrisskorrosion“ oder einen „systematischen Korrosionseffekt“ festgestellt wurden, sei eine Überprüfung aller Rohre nicht erforderlich. Schließlich hätte die Reaktorsicherheitskommission eine Überprüfung aller Dampferzeuger-Heizrohre zu 100% nur gefordert, wenn an einem Rohr ein Befund entdeckt werden würde. ​​​​​​[23] 

AKW Emsland (Lingen 2)

Nach der beschlossenen Laufzeitverlängerung hat der Betreiber RWE verkündet, den Reaktor im Januar abzuschalten und die Brennelemente zu rekonfigurieren, so dass ein Weiterbetrieb bis Mitte April möglich wäre. [24] RWE hat den Reaktor am 21.01.20223 abgeschaltet und rechnet damit, dass das AKW bis April 2023 zusätzlich 1,7 Terawattstunden Strom produzieren kann. Diese seien bislang aber noch nicht vermarktet. [25] Die Laufzeitverlängerung für das AKW Emsland könnte zudem einen unerwünschten Effekt auf den Strompreis haben. In Niedersachsen sind ca. 6.300 Windräder mit einer Gesamtleistung von 12 MW in Betrieb. Schon jetzt ist es schwierig, diese Leistung über das vorhandene Stromnetz dahin zu führen, wo sie gebraucht wird. Das Atomkraftwerk, das nicht beliebig zu- und abgeschaltet werden kann, sondern bis Mitte April im Dauerbetrieb bleiben muss, verstopft die Leitungen zusätzlich. Anstatt billiger Windenergie wird Atomenergie geliefert, die teurer ist und den Gesamtpreis weiter nach oben treibt.

Seit 2017 sind Risse an Dampferzeuger-Heizrohren bekannt, deren Ursache Spannungsrisskorrosion ist - wie im AKW Neckarwestheim 2. Sie können zum Abriss der Rohre und einen schweren Kühlmittelverluststörfall führen, bis zur Kernschmelze. Die Atomaufsicht hat der Wiederinbetriebnahme nach den Revisionen jeweils zugestimmt, obwohl mehr als die Hälfte der 16.000 Heizrohre nicht untersucht worden sind. [26]

Periodische Sicherheitsüberprüfung der AKW seit Jahren überfällig

Es gibt gute Gründe gegen den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, allen voran das Risiko einer Atomkatastrophe in Landshut oder Neckarwestheim. Die Atomkraftwerke weisen erhebliche Alterungsprobleme auf. Die umfassende periodische Sicherheitsüberprüfung, die eigentlich vor drei Jahren hätte stattfinden müssen, wurde den Betreiber erlassen wegen der Beendigung des Betriebes spätestens Ende 2022. [27]

Bei der periodischen Sicherheitsüberprüfung wird vor allem überprüft, inwieweit sich der Zustand einer Anlage von den aktuellen Sicherheitserkenntnissen und dem Stand von Wissenschaft und Technik entfernt hat und welche Nachrüstungsmaßnahmen notwendig sind. Vor dem Hintergrund, dass die letzten PSÜ vor den Anschlägen auf das World Trade Center stattgefunden haben, wird die Lücke zwischen der Sicherheit in den laufenden Reaktoren und neueren Erkenntnisse deutlich. Auch Maßnahmen gegen einen Terrorangriff außerhalb der Reaktoren wurden nicht umgesetzt. Die Nebeltarnung, die nach dem Anschlag auf das World Trade Center als angeblicher Schutz im Angriffsfall propagiert wurde, ist gar nicht erst errichtet worden. [27]

Auch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BaSE) weist auf die fehlende Sicherheitsüberprüfung, die fehlende technische Anpassung an neueste Sicherheitsentwicklungen und den fehlenden Schutz vor einem Angriff auf die Atomkraftwerke hin. Das Risiko katastrophaler Unfälle habe sich noch einmal verschärft. [28]

In der Vereinbarung zwischen Minister und Betreibern wurde festgelegt, dass sich an den aktuellen Sicherheitsanforderungen nichts ändert. Die Pflicht zur PSÜ bleibt ausgesetzt, die Betreiber bleiben in der atomrechtlichen Verantwortung und Haftung. [2]

Der Streckbetrieb birgt jedoch ein ganz eigenes Sicherheitsproblem. Denn wenn jedes ungeplante Herunterfahren des Reaktors bedeutet, dass dieser aufgrund des fortgeschrittenen Abbrandes gar nicht mehr in Betrieb gehen kann, ist zu befürchten, dass selbst bei erheblichen Problemen auf jeden Fall ein Abschalten vermieden werden wird.

Im Gegensatz dazu sieht der TÜV Süd in seiner Stellungnahme für das Bayerische Staatsministerium für Umwelt weder bei einer Laufzeitverlängerung des AKW Ohu 2 noch bei einer Wiederinbetriebnahme des AKW Gundremmingen C irgendwelche Sicherheitsprobleme. [19] Der TÜV Süd ist seit Jahrzehnten als Gutachter für die AKW-Betreiber unterwegs und hat noch nie Sicherheitsprobleme gesehen. Der gleiche TÜV Süd hatte auch trotz offensichtlicher Sicherheitsbedenken die Stabilität des 85 Meter hohen Damms der Eisenerzmine Córrego do Feijão zertifiziert. Bei dem Dammbruch im Januar 2019 starben mehr als 270 Menschen und das Gebiet wurde mit giftigem Schlamm überflutet. [29]

Wer die Kosten trägt

Noch vor wenigen Monaten hatten sich die Betreiber der Atomkraftwerke gegen eine Laufzeitverlängerung ausgesprochen und eine Zustimmung höchstens in Aussicht gestellt, falls der Staat alle Kosten und Risiken übernimmt. [30] 

In der Vereinbarung zwischen Minister und Betreibern wurde festgelegt, dass davon ausgegangen wird, dass im Falle des Weiterbetriebs der Anlagen die Kosten durch die Erlöse für den Strom gedeckt werden würden. Sollte dies nicht eintreffen, erhalten die Betreiber vom Staat einen "Verlustausgleich". [2]

Sollte ein Reaktor nicht weiterbetrieben werden, würden die Kosten für Stillstände, Personal- und Sachkosten, Aufwand für behördliche Verfahren, Erfüllung Meldepflichten, Kosten für Deckungskäufe im Fall von Stillständen vor dem 31.12.2022, Kosten für Verzögerung des Rückbaus beim betreffenden AKW und anderen Atomkraftwerken des Konzerns sowie für die Vorhaltung in Reserve vom Staat übernommen werden.. [2]

Quellen

[1] tagesschau.de: Habeck hält AKW-Weiterbetrieb für nötig, 27.09.2022

[2] Eckpunkte BMWK - E.ON - EnBW, 27.09.2022

[3] Das AKW-Machtwort des Kanzlers: Eine Kaulquappe für die Grünen, ein Ochsenfrosch für die FDP, stern.de, 17.10.2022

[4] Öffentliche Anhörung des Umweltausschusses zur Änderung des Atomgesetzes, 09.11.2022

[5] Deutscher Bundestag: Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (19. AtGÄndG), Drucksache 20/4217, 02.11.2022

[6] tagesschau.de: Wieviel Sprit ein Tempolimit spart, 10.04.2022

[7] welt.de: Goering-Eckardt offen für AKW-Streckbetrieb - Scholz will zweiten Stresstest abwarten, Stand 25.07.2022

[8] br.de: SPD und Grüne in München für längere Laufzeit des AKW Isar-2, 21.07.2022

[9] 50hertz.com: Historie, abgerufen am 15.09.2022

[10] Amprion.net: Anteilseigner, abgerufen am 15.09.2022

[11] Tennet.eu: Unsere Geschichte, abgerufen am 15.09.2022

[12] EnBW: Jahresabschluss der EnBW AG 2021

[13] 50 Hertz, Amprion, Tennet, TransnetBW: Abschlussbericht Sonderanalysen Winter 2022/2023, 13.09.2022

[14] grs.de: Streckbetrieb, abgerufen am 26.07.2022

[15] Niedersachsen Energieminister Lies warnt: AKW-Laufzeitverlängerung „völlig falsche Weg“, rnd.de, 30.08.2022

[16] Prof. Dr.-Ing. habil. Manfred Mertins: Bewertung zu Schäden durch Spannungsrisskorrosion an Dampferzeuger-Heizrohren im KKW Neckarwestheim 2 (GKN-II), Juni 2020

[17] .ausgestrahlt: Gefahr in Neckarwestheim, abgerufen 22.11.2022

[18] Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim: Klage auf Einstellung des Betriebs des Kernkraftwerks Neckar II in Neckarwestheim erfolglos, 15.12.2022

[19] TÜV Süd: Kernkraftwerk Gundremmingen (KRB II) Block C, Kernkraftwerk Isar 2 (KKI 2) Bewertung der konkreten, erforderlichen technischen Maßnahmen für einen Weiterbetrieb des KKI 2 bzw. eine Wiederinbetriebnahme des Blocks C des KRB II, Auftrag vom 07.04.2022

[20] AKW-Betreiber spricht sich gegen Habeck-Plan aus, Süddeutsche Zeitung, 07.09.2022

[21] Süddeutsche.de: Ein Ventil macht Ärger, 20.02.2022

[22] Anfrage des Umweltinstituts München an das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, 03.07.2022

[23] Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz: Antwort auf die Anfrage des Umweltinstitutes München vom 03.07.2019, 30.07.2019

[24] ndr.de: AKW Emsland geht Anfang 2023 für zwei Wochen vom Netz, 28.10.2022

[25] ndr.de: AKW Lingen geht ohne neue Brennstäbe in Streckbetrieb, 11.11.2022

[26] Niedersächsischer Landtag: Kleine Anfrage der Abgeordneten Miriam Staudte (Grüne) zur kurzfristigen schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 2 GO LT mit Antwort der Landesregierung: Rissige Rohre im AKW Emsland – Warum fordert der Umweltminister keine umfassende Prüfung? Drucksache 18/4158, 12.07.2019

[27] Oda Becker, Adhipati Y. Indradiningrat: Atomstrom 2018 - sicher, sauber, alles im Griff? Studie im Auftrag des BUND, April 2018

[28] base.bund.de: Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke, Stand 26.07.2022

[29] tagesschau.de: Verfahren gegen TÜV Süd wird ausgeweitet, 24.01.2022

[30] bmuv.de: Fragen und Antworten zur AKW-Laufzeitverlängerung, Stand 24.06.2022