Rechtsentwicklung im Endlagerbereich

Am 31. Oktober 1957 ging der erste Atomreaktor in der BRD in Betrieb. Am 1. Januar 1960 trat das Atomgesetz in Kraft. Obwohl bereits damals über die Probleme einer sicheren Atommülllagerung diskutiert wurde, gab es darin keine Regelungen zum Umgang mit den radioaktiven Abfällen. Diese wurden erst mit der vierten Novelle des Atomgesetzes 1976 eingeführt, da war das Atommülllager ASSE II schon neun Jahre in Betrieb.

Endlagerung ohne Regelung im Atomgesetz

Am 31. Oktober 1957 ging der erste Atomreaktor in der BRD in Betrieb, der Forschungsreaktor FRM in Garching bei München. Fünf Jahre später folgte der erste kommerzielle Leistungsreaktor, das Versuchsatomkraftwerk VAK Kahl in Karlstein. Dazwischen trat am 1. Januar 1960 das Atomgesetz in Kraft. Obwohl bereits damals über die Probleme einer sicheren Atommülllagerung diskutiert wurde [1] gab es im Atomgesetz keine Regelungen zum Umgang mit den radioaktiven Abfällen. [2] 

Am 4. April 1967 ging mit der „Versuchs“-Einlagerung radioaktiver Abfälle in das alte Salzbergwerk ASSE II das erste Atommüll-“Endlager“ in Betrieb. Von Anfang an als Forschungsanlage ausgewiesen, reichte für den Betrieb der ASSE II eine bergrechtliche Genehmigung, kombiniert mit einer Umgangsgenehmigung nach Strahlenschutzverordnung oder – bei kernbrennstoffhaltigen Abfällen - nach Atomgesetz.

Vierte Novelle des Atomgesetzes 1976

Erst mit der vierten Novelle des Atomgesetzes am 31.10.1976 [3] wurde erstmals ein Regelwerk für den Bau und Betrieb von Endlagern geschaffen. Neue Einlagerungsgenehmigungen durften nur noch nach einem Planfeststellungsverfahren nach §9 Atomgesetz mit Öffentlichkeitsbeteiligung erteilt werden. Dies bedeutete damals letztlich das Aus für die Einlagerung von Atommüll in das Salzbergwerk ASSE II zum 31.12.1978. Den 1979 gestellten Planfeststellungsantrag auf „Einrichtung eines Endlagers für schwachradioaktive Abfälle“ in der ASSE II, zog die damals dafür zuständige Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) 1981 wieder zurück, nachdem selbst dem überzeugtesten ASSE-II-Befürworter klar geworden war, dass ein solches Verfahren keine Chance gehabt hätte. [4]

Entsorgungsvorsorgenachweis 1977 / 1979

Mit der vierten Novelle des Atomgesetzes 1976 wurde festgeschrieben, dass die Anlagenbetreiber die Pflicht haben, für die „schadlose Verwertung“ oder die „geordnete Beseitigung“ der radioaktiven Abfälle zu sorgen. Doch wie sollte diese Pflicht konkret umgesetzt werden? Am 6. Mai 1977 verabschiedeten der Bund und die Länder die „Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke“. Ihre Einhaltung sollte Genehmigungsvoraussetzung für weitere Atomkraftwerke werden. Die geforderte Vorsorge bestand einerseits aus dem Nachweis von Zwischenlagermöglichkeiten für die Brennelemente mit anschließenden Verträgen zur Wiederaufarbeitung für sechs Jahre im Voraus, sowie in Ausnahmefällen für die Lagerung ohne Wiederaufarbeitung und andererseits in Fortschritten bei der Errichtung eines Nuklearen Entsorgungszentrums. Am 28. September 1979 schrieben Bund und Länder den Entsorgungsvorsorgenachweis fort. Nach der Aufgabe der Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben trat der Ausbau der Zwischenlagerkapazitäten stärker in den Vordergrund. [5] 

Obwohl juristisch eng gefasst der Nachweis der Lagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen nicht zum Entsorgungsvorsorgenachweis gehörten, war es nicht unüblich, dass in den Teilerrichtungsgenehmigungen auch diese Abfälle eine Rolle spielten. Und so kam es, dass in der 2. Teilerrichtungsgenehmigung für das Atomkraftwerk Lingen/Emsland 1984 die ASSE II als Entsorgungsvorsorgenachweis genannt wurde obwohl die Pläne für die Weiternutzung der Anlage als Endlager bereits 1981 aufgegeben worden waren. Andererseits tauchte bereits 1981 Schacht KONRAD als Entsorgungsnachweis in den Errichtungsgenehmigungen für die Atomkraftwerke Grohnde (Niedersachsen), Brokdorf (Schleswig-Holstein) und Grafenrheinfeld (Bayern) auf, obwohl damals erst die Voruntersuchungen für das Projekt angelaufen waren. [6] 

Entsorgungsberichte 1977 / 1983

Auf Grundlage der Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge erstellte die Bundesregierung zwei Entsorgungsberichte, den Bericht der Bundesregierung zur Situation der Entsorgung der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland (Entsorgungsbericht) vom 30.11.1977 [7] und den Bericht der Bundesregierung zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Einrichtungen vom 30.08.1983. [8] 

In Folge brauchte es 32 Jahre und eine Verpflichtung durch die Richtlinie 2011/70/EURATOM, bis die Bundesregierung erneut ein „Nationales Entsorgungsprogramm“ vorlegte. [9] Allerdings erscheinen die Feststellungen im Nationalen Entsorgungsprogramm ähnlich realitätsuntauglich wie die im Entsorgungsbericht von 1983, als sowohl die Inbetriebnahme von Schacht KONRAD für 1988 als auch eine Wiederinbetriebnahme der ASSE II für Ende der 80er Jahre prognostiziert wurden.

Atommüll-Endlager per Einigungsvertrag

Seit 1971 wurden in das alte Salzbergwerk Bartensleben bei Morsleben auf Seiten der DDR, 800 m hinter der Grenze zu Westdeutschland, schwach- und mittelradioaktive Abfälle eingelagert.

Mit juristischen Winkelzügen wurde 1990 aus dem DDR-Lager ein gesamtdeutsches Atommülllager. Das ERA Morsleben, das bis dahin zum Volkseigenen Kombinat „Kernkraftwerke Bruno Leuschner“ gehörte, ging in letzter Minute formal in den Besitz des Staatlichen Amtes für Strahlenschutz über, um am Tag der Vereinigung der Zuständigkeit des Bundesamtes für Strahlenschutz zu unterliegen. Der Einigungsvertrag garantierte damit seinerseits zehn Jahre "Bestandsschutz" für diese Anlage. So wurde die Betriebsgenehmigung automatisch bis zum 30.06.2000 verlängert. Per Gesetz wurde ein fiktiver Planfeststellungsbeschluss erteilt, ohne Öffentlichkeitsbeteiligung und ohne Langzeitsicherheitsnachweis, denn den gab es nach DDR-Recht erst bei einer Stilllegungs-Genehmigung.

Die Einlagerung radioaktiver Abfälle in Morsleben wurde 1991 gerichtlich gestoppt. Doch das Bundesverwaltungsgericht hob das Urteil des Bezirksgerichts Magdeburg 1992 wieder auf. Am 13. Januar 1994 nahm das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) den Betrieb des ERAM wieder auf. In den Folgejahren wurde mehr Müll eingelagert als in DDR-Zeiten, zusätzliche 22.321 m³. Letztlich war es wieder eine Gerichtsentscheidung, die das Ende der Einlagerung in Morsleben brachte. Am 26.09.1998 untersagte das Oberverwaltungsgericht Magdeburg die weitere Einlagerung von Atommüll. Das BfS hatte es übertrieben. Über Jahre hinweg hatte es sich „in Eigenaufsicht“ sowohl die stoffliche als auch die räumliche Ausweitung des Einlagerungsinventars selbst genehmigt. Auf die Beantragung einer neuen Einlagerungsgenehmigung vom Umweltministerium Sachsen-Anhalt verzichtete das BfS. [10] 

Atomaufsichtliche Weisungen im Endlagerbereich

In den 1990er Jahren griffen sowohl bei Schacht KONRAD als auch beim ERA Morsleben die Bundesumweltminister Töpfer und Merkel mit dem Instrument der atomaufsichtlichen Weisungen in die Aktivitäten der Genehmigungsbehörden in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt ein. Im KONRAD-Verfahren erließ Bundesumweltminister Klaus Töpfer fünf und Bundesumweltministerin Angela Merkel drei materielle und verfahrenslenkende Weisungen. Zu Morsleben erließ Frau Merkel fünf Weisungen, unter anderem wies sie an, die Einlagerung von Atommüll entgegen Sicherheitsbedenken der Genehmigungsbehörde wieder aufzunehmen und öffentliche kritische Erklärungen zur mangelnden Sicherheit zu unterlassen. [11] Bundesumweltminister Trittin hob die Weisungen zu Morsleben auf, die zu Schacht KONRAD jedoch nicht, was nach Aussagen des damaligen Landesumweltministers Jüttner die Genehmigungsbehörde gegen ihre Überzeugung zwang, das Verfahren weiter zu führen. [12] 

Gebundene Genehmigung statt Planfeststellung

Wegweisend war das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg zu Schacht KONRAD, das vom Bundesverwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde bzw. durch Klageabweisung bestätigt wurde.

Die Gerichte haben die Planfeststellung für ein Endlager für radioaktive Abfälle in eine gebundene Genehmigung umdefiniert, um eine Alternativenabwägung auszuschließen und den betroffenen Kommunen ihre Klagerechte abzusprechen: „Die atomrechtliche Planfeststellung ist nach ihrer gesetzlichen Ausprägung somit eine gebundene Entscheidung, für die das fachplanerische Abwägungsgebot mit all seinen Auswirkungen nicht gilt. (…) Die Standortfestlegung ist Sache des nach § 9a Abs.3 Satz 1 AtG verpflichteten Betreibers der Anlage..“ [13] 

Die Gerichte haben zudem festgestellt, dass es kein einklagbares Recht auf Nachweltschutz gebe. „Das Oberverwaltungsgericht führt insoweit aus, die heute Lebenden könnten kein Recht auf den Schutz künftiger Generationen gerichtlich geltend machen, auch Art. 20a GG gewähre kein subjektives Recht zugunsten Einzelner (…) Ein dem Beschwerdeführer selbst als Grundrechtsträger zustehendes, verfassungsbeschwerdefähiges Grundrecht auf Verhinderung erst nach seinen Lebzeiten eintretender Gefährdungen für die Umwelt und nachfolgende Generationen lässt sich weder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG noch aus sonstigen grundrechtlichen Verbürgungen ableiten." [14] 

ASSE II per Gesetz zum Atommülllager erklärt

Mit dem 10. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes wurde die ASSE II erstmals zur Atomanlage erklärt. Anstatt allerdings zu prüfen, inwieweit die ASSE II nach Atomrecht überhaupt als Endlager bestehen bleiben darf, heißt es im neuen § 59b lapidar: "Für den Weiterbetrieb bis zur Stilllegung bedarf es keiner Planfeststellung nach § 9b". Die Fehler der Vergangenheit wurden einfach dadurch geheilt, dass sie nachträglich für rechtens erklärt wurden. [15] 

Standortauswahlgesetz – Neuregelung des Endlagerrechts

Grundlegende Änderungen wurden mit dem Standortauswahlgesetz vom 23.07.2013 vorgenommen. [16] 

An die Stelle eines behördlichen Genehmigungsverfahrens trat die Legalplanung. Der Deutsche Bundestag soll in jeweils eigenen Gesetzen

  • über die übertägig zu erkundenden Standorte,
  • über die untertägig zu erkundenden Standorte und
  • über die Standortentscheidung für ein Endlager

entscheiden.

Durch eine solche Legalplanung wird der Rechtsschutz stark eingeschränkt. [17] 

Gleichzeitig wurde der § 9b des Atomgesetzes geändert und die Rechtsprechung der Gerichte im KONRAD-Verfahren insofern nachvollzogen, als die Planfeststellung durch eine Plangenehmigung ersetzt werden kann. [18] 

Die Bundesländer als bisherige Genehmigungs- und Aufsichtsinstanzen wurden entmachtet. Sowohl ihre atomrechtlichen als auch ihre berg- und wasserrechtlichen Kompetenzen gingen auf das neu gegründete Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung über.

Quellen

[1] Joachim Radkau: „Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft“, Reinbeck bei Hamburg 1983

[2] Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz), 23.12.1959

[3] Bekanntmachung über die Neufassung des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz), 31.10.1976

[4] Bericht der Niedersächsischen Landesregierung über den Untersuchungsgegenstand des 21. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung von Vorgängen in der Schachtanlage Asse II, Hannover, 10.08.2010

[5] Bekanntmachung der Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke vom 19. März 1980 (BAnz 1980, Nr. 58), RS-Handbuch 3-25, Stand 12/01

[6] Deutscher Bundestag, Antwort auf die schriftliche Frage der Abgeordneten Kotting-Uhl, Drucksache 16/12182, S. 66-76

[7] Deutscher Bundestag, Bericht der Bundesregierung zur Situation der Entsorgung der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland (Entsorgungsbericht), Drucksache 8/1281, 30.11.1977

[8] Deutscher Bundestag, Bericht der Bundesregierung zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Einrichtungen, Drucksache 10/327, 30.08.1983

[9] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle (Nationales Entsorgungsprogramm), August 2015

[10] bfs.de – Seit 1990 gesamtdeutsches Endlager, Stand 03.01.2017

[11] „Merkel verbietet Erklärung zu Morsleben“, neues deutschland.de, 27.06.1996

[12] „Atomendlager – Minister Trittin irritiert Niedersachsen“, die Welt 07.09.1999

[13] Bundesverwaltungsgericht Beschluss BVerwG 7 B 72.06 OVG 7 KS 145/02, 26.03.2007

[14] Bundesverfassungsgericht - 1 BvR 1178/07 – 10.11.2009

[15] 10. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 17.03.2009

[16] Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle (Standortauswahlgesetz – StandAG) 23.07.2013

[17] Rechtsanwalt Dr. Wollenteit: „Verfassungsrechtliche Probleme der Standortplanung für ein atomares Endlager in Gesetzesform“, Rechtsgutachten im Auftrag von Greenpeace e.V., 19.04.2012

[18] Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz), zuletzt geändert durch Art. 1 G v. 03.01.2022