Im Standortauswahlgesetz 2013 legte der Deutsche Bundestag fest, dass 2031 ein Standort für die tiefengeologische Lagerung hochradioaktiver Abfälle gefunden sein soll. [1] 18 Jahre für eine wissenschaftsbasierte, transparente und partizipative Suche nach einem bestmöglichen Standort sei zu kurz, kritisierten Umweltverbände, Bürgerinitiativen und andere Akteure. Die Vorfestlegung auf eine tiefengeologische Lagerung sei verfrüht und ohne entscheidungsrelevante Rechte der Bevölkerung sei das Verfahren zum Scheitern verurteilt, kritisierten diejenigen mit den meisten Erfahrungen mit Endlagerprojekten, die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, die Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD und der ASSE-II-Koordinationskreis. Es fehle eine Auswertung der Fehler der Vergangenheit, eine wissenschaftliche Grundlagenforschung und eine offene gesellschaftliche Diskussion. [2]
Anstatt jedoch einen tatsächlichen Neustart im Umgang mit den radioaktiven Hinterlassenschaften der Atomenergienutzung zu wagen, wurde vor allem Zeitdruck aufgebaut. Der damalige Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) sagte dazu im Mai 2013 vor dem Deutschen Bundestag: „Es wird oft darüber diskutiert, ob dieser Termin, 2031, zu lang oder zu kurz gegriffen ist. Das kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand wissen. Aber wenn es richtig ist, dass wir in unserer Generation den Grundstein für eine Lösung der Endlagerfrage legen wollen […], dann können wir auch die Entscheidung über den Endlagerstandort nicht beliebig lange vor uns herschieben. Dann werden wir irgendwann um die Jahreswende 2030 zu einer solchen Entscheidung kommen müssen.“ [3]
Am 16. Dezember 2022 veröffentlichte die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE) eine „Rahmenterminplanung für Schritt 2 der Phase I bis zum Vorschlag der Standortregionen und zeitliche Abschätzungen für Phase II und III“. BGE Sie ermittelt darin einen Zeitraum zwischen 2046 und 2068, bis ein Standort benannt sein könnte. Dann aber muss das Bergwerk erst errichtet werden, bevor die ersten Behälter mit hochradioaktiven Abfällen eingelagert werden könnten. [4]
Der nächste Schritt im Standortauswahlverfahren ist die Eingrenzung der im Zwischenbericht der BGE ermittelten Teilgebiete. In dem 2020 veröffentlichten Bericht hatte die BGE 90 Teilgebiete ausgewiesen, die 54 Prozent des Bundesgebietes umfassen. In der aktuellen Phase (zweiter Schritt Phase 1) muss die BGE diese Gebiete auf Standortregionen für eine übertägige Erkundung eingrenzen. Dann übermittelt die BGE ihren Vorschlag an das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BaSE). Dieses prüft den Vorschlag und richtet Regionalkonferenzen in den vorgeschlagenen Standortregionen ein, die den Vorschlag diskutieren dürfen. Am Ende des Prozesses entscheidet der Deutsche Bundestag, welche Regionen in der Phase 2 vertieft übertägig untersucht werden sollen.
Ursprünglich mal für 2024 angekündigt, will die BGE den Vorschlag für die Standortregionen im 2. Halbjahr 2027 an das BaSE übermitteln. Eine exakte Terminierung dieser Übermittlung sei im 2. Halbjahr 2026 möglich, so die BGE. Allerdings beinhalte dieser Zeitplan nur die Zeitbedarfe der BGE. Er bilde „keine Zeitbedarfe für die Prüfungen und weitere Arbeiten des BASE, die parallel dazu stattfindende Beteiligung der Öffentlichkeit und Festlegungen durch den Gesetzgeber gemäß § 15 StandAG ab“ [4]
Weitere Zeitprognosen für Phase 2 und 3 bis zu einer endgültigen Standortbenennung hat die BGE nur sehr grob vorgenommen. Die Dauer sei von vielen Faktoren, vor allem der Gründlichkeit der Erkundung, abhängig. Beschleunigungsmöglichkeiten sieht die BGE in der Reduzierung der Anzahl der genauer zu untersuchenden Standortregionen und dem Verzicht auf Erkundungsbergwerke in der Phase 3. Für Phase 2 veranschlagt die BGE für ihre eigenen Arbeiten zwischen 10 und 12 und für die Phase 3 zwischen 5 und 23 Jahre. Auch hier sind die Prüfung durch das BaSE, eine Beteiligung der Öffentlichkeit und parlamentarische Beratungen nicht einberechnet. [4]
Ganz offensichtlich klappt die Abstimmung zwischen dem Unternehmen und Vorhabensträger BGE und der Aufsichtsbehörde BaSE nicht. Das BaSE betont, dass es die BGE seit 2018 aufgefordert hatte, einen belastbaren Zeitplan vorzulegen. Anstatt darauf zu reagieren, erfuhr die Behörde laut eigener Aussage am 10. November 2022 aus der Presse, dass die BGE ihren Zeitplan nicht einhalten kann. [5]
Sowohl für die Erhaltung der fachlichen Kompetenzen als auch für die Aufrechterhaltung einer kritischen Öffentlichkeit ist der aktuelle Zeitplan extrem schwierig. Es macht den Einstieg junger Wissenschaftler:innen in die Forschung nach einer sicheren Lagerung radioaktiver Abfälle unattraktiv, wenn abzusehen ist, dass mit einem Ergebnis erst nach Ende ihres Berufslebens zu rechnen sein wird. Angesichts des Zeitplanes schieben sich dringlichere Probleme in den Fokus, auch bei den Bürgerinnen und Bürgern und der kritischen Fachöffentlichkeit vor Ort.
Ein wesentlicher Baustein fehlt noch bei der Aktualisierung der Planungen und muss von der BGE und dem Bundesumweltministerium eingefordert werden: Eine Abschätzung der mit der deutlichen Verlängerung der Standortsuche einhergehenden absehbaren Kostensteigerungen. Nun rächt sich bereits, dass die Betreiber der Atomkraftwerke von der Politik vor sechs Jahren aus ihrer sachlichen und finanziellen Verantwortung entlassen worden sind.
So hat der Zeitdruck vor 10 Jahren vor allem der BGE genutzt. Die BGE gibt dies ganz offen zu: „Die Zeitziele waren dennoch wichtig, um die für den Auf- und Umbau der nötigen Institutionen und Strukturen notwendige Dringlichkeit zu schaffen und den Neustart der Endlagersuche zielgerichtet zu beginnen.“ [4] Wieder einmal behielten die Kritiker:innen recht, die eine Standortbenennung bis 2031 utopisch nannten. Bei dem aufgebauten Zeitdruck blieb das Wesentliche auf der Strecke: die Aufarbeitung der Fehler der Vergangenheit, die daraus folgenden Konsequenzen für einen Neuanfang und vor allem die gemeinsame gesellschaftliche Diskussion über einen verantwortbaren Umgang mit allen Arten radioaktiver Abfälle in Deutschland.