Sollte die Umlagerung der Castor-Behälter aus dem AVR-Behälterlager in Jülich in das Brennelemente-Zwischenlager Ahaus (BZA) nicht noch gestoppt werden, so werden 152 Schwerlasttransporter mit Brennelementen quer durch das dichtbesiedelte Nordrhein-Westfalen rollen. Pro Sattelzug kann nur ein AVR-Behälter transportiert werden. Nach derzeitiger Projektplanung rechnet der Betreiber in Jülich, die staatliche Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen (JEN) mit einer Gesamtdauer von 2 Jahren ab Beginn der Transporte. Seit August 2024 liegt ein Gutachten der Physikerin Oda Becker vor, das die Gefahren betrachtet, die von den Transporten ausgehen können.
Wichtige Faktoren dabei sind, dass die Brennelemente z.T. bereits seit mehr als 30 Jahren in den Castor-Behältern lagern und Alterungseffekte bei den Behältern und deren Dichtungen auftreten können, sowie dass es 1978 zu einem schweren Störfall im AVR-Reaktor kam. Bei diesem Störfall kam es zu einer Überhitzung der Brennelemente infolgedessen u.a. große Mengen an Cäsium und Strontium aus den Partikeln ausgetreten sind. Das Cäsium befindet sich im porösen Graphitmoderator der Brennelementkugeln. Die Studie stellt fest: "Da das Cäsium bei diesen Brennelementen im porösen Graphit sitzt, ist es leicht mobilisierbar und daher eine Freisetzung bei Unfällen möglich." [1]
Integrität der Behälter bei möglichen Unfallszenarien
Oda Becker betrachtet in ihrem Gutachten sowohl die Integrität der Behälter bei einem Fall z.B. einer der Brücken über die die Transporte führen werden als auch bei einem Unfall mit Brandentwicklung. Sie kommt zu folgenden Schlüssen:
"Mit dem Behältertyp CASTOR THTR/AVR wurden keine Falltests gemacht, sondern es erfolgte nur modellhaftes Übertragen von Fallversuchen mit einem anderen Behältertyp. Zwar wurde ein sehr eindrucksvoller Extremtest mit einer Propangasexplosion durchgeführt, dabei fiel der Behälter allerdings auf Sandboden. Zudem war er dabei nicht einmal einem 30-minütigen 800 °C heißen Feuer ausgesetzt. Zusätzlich wirken Alterungseffekte auf den Behälter und die Dichtungen, deren Auswirkungen noch nicht vollständig bekannt sind. Daher verbleibt eine kleine Restunsicherheit bezüglich der Widerstandsfähigkeit. Es gibt nach heutigem Wissensstand aber zurzeit keine Anhaltspunkte, dass ein Zerbersten des Behälters oder ein Abfallen des Deckels in einer Unfallsituation drohen könnte. Es wäre dennoch empfehlenswert, wenn die Geschwindigkeit des Transports auf unter 48 km/h begrenzt bleibt und Strecken mit Brücken höher als 9 m vermieden werden." [1]
"Die Hitzebeständigkeit der Castoren bzw. ihres Dichtungssystems wird bei einem Brandtest mit 800 °C über eine Dauer von 30 Minuten geprüft. Es sind jedoch bei Unfällen höhere Temperaturen möglich. Nach einer Studie in den USA werden häufig Flammentemperaturen von bis zu 1.100 °C erreicht und auch Branddauern von mehr als 30 Minuten sind bei schweren Unfällen unter ungünstigen Randbedingungen durchaus möglich. Dies hat sich auch bei mehreren schweren Unfällen in Deutschland bestätigt. Der Brandtest deckt einige Szenarien nicht ab, wenn etwa größere Mengen brennbaren Materials an einem Unfall beteiligt sind. Bei einem Zusammenstoß mit einem Tanklastzug, insbesondere in einem Tunnel, ist es wahrscheinlich, dass Temperaturen über den vorgesehene 800 °C entstehen und das Feuer länger als eine halbe Stunde andauert. (UBA 2002)" Bei einem solchen Brand kann es zum Versagen der Dichtungen kommen. [1]
Terroristische Angriffe
Erstmals wird in diesem Gutachten nicht nur der Angriff mit panzerbrechenden Waffen, sondern auch mit Drohnen betrachtet. Der Einsatz von sogenannten kleinen "Kamikaze-Drohnen" ist sowohl im Ukraine-Krieg als auch bei den kriegerischen Handlungen im Nahen Osten zur Realität geworden. In beiden Fällen ist zu beachten, dass Katastrophenschutzmaßnahmen nicht vor Strahlenbelastungen schützen können, da die Menschen vor einer Evakuierung unmittelbar wären,.
Für das Szenario eines Beschusses mit panzerbrechenden Waffen kommt Becker zu dem Schluss: "Insgesamt lässt sich feststellen, dass die zu erwartenden Strahlenbelastungen für die Personen in
der Nähe der Transportstrecke in Folge eines derartigen Hohlladungsbeschusses gesundheitsschädlich, vielleicht sogar lebensbedrohlich sind. [...] Insgesamt ist davon auszugehen, dass nach einem „erfolgreichen“ Beschuss die Bodenkontaminationen so hoch sind, dass eine langfristige Beeinträchtigung resultierten wird." [1]
Bei einem Angriff mit Drohnen mit Sprengstoff und Brandbeschleunigern ist das mögliche Szenario noch verheerender: "Im Wesentlichen wird die Dosis durch Inhalation der radioaktiven Stoffe bestimmt, die die Personen in Windrichtung unmittelbar nach der Freisetzung erhalten würden. Der Hauptbeitrag der Inhalationsdosis wird durch das Nuklid Plutonium-238 erzeugt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
bis in eine Entfernung von rund 120 Meter die möglichen Inhalationsdosen tödlich (ab 7000 mSv) sind. Einer Dosis von 4.000 mSv ist eine 50%ige Sterbewahrscheinlichkeit zuzuordnen. Diese
Dosen können bis etwa 180 Meter Entfernung auftreten. Für Personen, die sich in Gebäuden aufhalten, würde sich die Dosis um einen Faktor 3 reduzieren. Das bedeutet, dass die Dosen an der Strecke selbst für Menschen, die sich in Gebäuden aufhalten, tödlich sein könnten. Dieses Szenario veranschaulicht die potenziellen Gefahren des Transports." [1] Bei den Bodenkontaminationen ist davon auszugehen, dass sie so hoch sind, "dass eine langfristige Beeinträchtigung in Gebieten bis in deutlich mehr als 20 km Entfernung resultieren wird." [1]
Zu den Hintergründen der geplanten Transporte vom AVR-Behälterlager Jülich zum BZA Ahaus
Seit dem 01.07.2013 ist die Betriebsgenehmigung für das AVR-Behälterlager auf dem Gelände des Forschungszentrums Jülich erloschen. (AVR steht für Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor GmbH, ein Konsortium 15 kommunaler Elektrizitätsversorger unter Führung der Stadtwerke Düsseldorf). Seitdem lagern dort rund 288.161 Brennelementkugeln aus dem Hochtemperaturreaktor AVR Jülich in 152 Castor-Behältern ohne Genehmigung nur aufgrund einer Anordnung des Wirtschaftsministeriums Nordrhein-Westfalen. Der Betreiber JEN, prüfte mehrere Optionen: Neugenehmigung bzw. Neubau eines Lagers in Jülich, Verbringung der Brennelemente in die USA und Umlagerung in das BZA Ahaus. Die JEN stellte diverse Genehmigungsanträge und zog sie wieder zurück, unternahm aber in der Realität nichts um den genehmigungslosen Zustand in Jülich zu beheben.
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BaSE) schreibt zum Stand des Neugenehmigungsverfahrens für das AVR-Behälterlager Jülich: "Derzeit steht nach wie vor die Einreichung mehrerer wesentlicher Unterlagen durch den Betreiber JEN aus. Zum Gesamtkomplex der Sicherheit in Bezug zum Bemessungserdbeben hat das BASE der JEN im Juli 2022 bestätigt, dass die von der JEN vorgelegten Nachweise die Anforderungen der anzuwendenden kerntechnischen Regeln erfüllt. Auch unabhängig von den bestehenden Nachweisschwierigkeiten ist darauf hinzuweisen, dass verlässliche Aussagen über den Ausgang von Genehmigungsverfahren grundsätzlich erst nach Abschluss aller Prüfungen möglich sind." [2]
Im Jahr 2022 wurde die Option des Exportes in die USA vom Deutschen Bundestag verworfen und aus Kostengründen eine Umlagerung nach Ahaus beschlossen. Ein neues Lager in Jülich könne nur gebaut werden, wenn das Land NRW die Kosten trage. Bereits 2023 fanden Testfahrten für die geplanten 152 Transporte nach Ahaus quer durch das dichtbesiedelte Ruhrgebiet statt. Am 21.07.2016 hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) eine Aufbewahrungsgenehmigung für die 152 Castor-Behälter im Zwischenlager Ahaus erteilt. Eine Transportgenehmigung durch die Landesregierung NRW steht noch aus.