AVR Jülich

Name: AVR Jülich

Art der Anlage: Atomkraftwerk

Status der Anlage: im Rückbau

Bundesland: Nordrhein-Westfalen

Betreiber: Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH

Foto: Maurice van Bruggen

Anlage

 

Name der Anlage:

AVR – Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich

Bundesland:

Nordrhein-Westfalen

Betreiber:

Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH

Am 01.09.2015 wurde die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor (AVR) GmbH mit dem Geschäftsbereich Nuklear-Service (N) des Forschungszentrums Jülich (FZJ) unter dem neuen Namen Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH (JEN) GmbH zusammengeführt. Die JEN ist eine 100%ige Tochter der staatlichen Entsorgungswerk für Nuklearanlagen (EWN) GmbH und für Rückbau, Abfallbehandlung und Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle am Standort Jülich verantwortlich. [1]

20.05.2003: Übernahme der AVR GmbH durch die Energiewerke Nord GmbH (EWN) 

Ab 1970: weiterhin formal eigenständig, aber abhängig vom FZJ: Das FZJ zahlte hohe Betriebskostenzuschüsse an die AVR GmbH, um den Weiterbetrieb zu sichern. [2]

1959: Gründung der Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor GmbH - Konsortium 15 kommunaler Elektrizitätsversorger unter Führung der Stadtwerke Düsseldorf [3]

Gesellschafter:

100% Entsorgungswerk für Nuklearanlagen(EWN) GmbH (100% staatlich)

Reaktortyp:

Hochtemperatur-Kugelhaufen-Reaktor, grafitmoderiert

Leistung, elektrisch:

15 MW 

Zweck:

Demonstration der Machbarkeit und Funktionsfähigkeit eines gasgekühlten graphitmoderierten HTR, Stromerzeugung [2]

Baubeginn:

01.08.1961

Inbetriebnahme:

17.12.1967

Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde:

Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIKE)

Genehmigung: Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen

Besondere Gefahren:

Während der Betriebszeit gab es mehrere schwere Störfälle und Radioaktivitätsabgaben über den Grenzwerten. Eine Expertengruppe veröffentlichte am 26.03.2014 unter anderem folgende gravierenden Ereignisse:

  • Der AVR wurde teilweise mit überhöhten Temperaturen betrieben, ohne dass dies erkannt wurde. Notwendige Temperaturmessungen wurden nicht durchgeführt
  • 1974-76 stieg die Kontamination im Primärkreislauf um den Faktor 100 – 1000 an, ohne dass Konsequenzen gezogen wurden.
  • 1978 kam es zu einem Dampferzeugerstörfall der zum Austritt radioaktiv kontaminiertem Wasser und einer erheblichen Menge Tritium führte. Anstatt den Störfall in die Meldekategorie B (sicherheitstechnisch potentiell signifikanter Störfall) oder sogar A (sicherheitstechnisch unmittelbar signifikanter Störfall) einzustufen wurde er vom Betreiber als Kategorie N-Störfall (geringe sicherheitstechnische Bedeutung) weiter gemeldet. [4]

Andere Störfälle wurden gar nicht gemeldet, u.a.

  • 07.09.1971 Säureeinbruch
  • 30.03.1977 ungeplantes Kritischwerden
  • 29.01.1979 Gebläseschaden
  • wiederholte Störungen an der Anlage für die Beschickung mit Brennelementen. [4]

In dem Behälter befinden sich noch maximal 197 Brennelemente, die nicht entleert werden konnten. „Die verbliebenen Kugelbrennelemente können bis zur Zerlegung des Reaktorbehälters nicht mit strahlenschutztechnisch und wirtschaftlich vertretbarem Aufwand geborgen werden.“ [5]

Unzulänglichkeit der AVR-Anlagendokumentation aus den 1960er-Jahren, die häufig den tatsächlichen Zustand der einzelnen abzubauenden Betonstrukturen nicht zutreffend wiedergibt. [6]

Meldepflichtige Ereignisse:

84 (Stand 31.10.2017) [7]

Stilllegung

 

Abschaltung:

31.12.1988

Genehmigung:

Genehmigung zum „sicheren“ Einschluss vom 09.03.1994 [8]

„Sicherer“ Einschluss:

Durch erhebliche Probleme bei der Brennelemententleerung zogen sich die Arbeiten bis 2002 hin.

Im Januar 1999 wurde aufgrund einer aus anderen Gründen durchgeführten Messung erhöhte Radioaktivität im Regenwasserkanal des Forschungszentrums, sowie eine lokal begrenzte, aber hohe Strontium-90 Konzentration im Boden festgestellt - 21 Jahre nach dem ursächlichen Dampferzeugerstörfall. [4]

Die radioaktive Kontamination ist hoch. Die staubgebunden vorliegende ß-Kontamination (Strontium-90) ist die höchste aller Reaktoren weltweit, außerdem gibt es hohe, langlebige C-14-Kontaminationen. [2]

Rückbau:

Nach dem Fund der radioaktiven Kontaminationen musste eine Konzeptänderung für die Stilllegung erfolgen: Herausheben des Reaktordruckbehälters und vollständiger Rückbau der restlichen Anlage

25.02.2005: Antrag auf vollständigen Abbau der Anlage

2006: Errichtung einer 60 x 40m Materialschleuse aus Stahl, um das Ausschleusen des Reaktordruckbehälters zu ermöglichen.

November 2008: Verfüllung des Reraktordruckbehälters mit 500 m³ Porenleichtbeton um so die radioaktiv hoch kontaminierten Graphitstaubteilchen zu fixieren und den Behälter zu stabilisieren. [2]

31.03.2009: Rückbaugenehmigung [9]

Hohe Kontamination des Kühlkreislaufs verzögert den Rückbau.

22.07.2013: Das Bundesforschungsministerium räumt ein, dass der AVR-Rückbau sich weiter verzögert wegen unerwarteter Kontamination im Betonmantel, der teilweise eingerissen werden muss, damit der Reaktorbehälter herausgehoben werden kann. [6]

November 2014: Herausheben des RDB aus seiner bisherigen Position, Absetzen in das Ablagegestell der Materialschleuse. [10]

23.05.2015 Transport des RDB in das am Standort errichtete Reaktorbehälter-Zwischenlager auf einer 600 m langen Transporttrasse [10]

Die Demontagearbeiten von Komponenten des Primärkreises sind abgeschlossen.[11]

Die zur Vorbereitung der Betonabbrucharbeiten im Schutzbehälter notwendigen Dekontaminationsarbeiten sind ebenso abgeschlossen. Die Abbrucharbeiten haben Ende August 2020 begonnen. Der Abbruch erfolgt funkferngesteuert mit einem Abbruchroboter. [11]

Dauer des Rückbaus:

Ende: geplant 2031 (Projektkostenschätzung 2020)

ursprünglich geplant: 2021 [12]

Kosten:

Rückbau: Ca. 575 Mio. Euro (Projektkostenschätzung 2020) - ursprünglich veranschlagt: 200 Mio. Euro [12]

(Zum Vergleich: Baukosten: ca. 67,5 Mio Euro)

Geldgeber:

Bis 31.03.2003: 90% Bund, 10% NRW

Ab 01.04.2003: 70% Bund, 30% NRW

Abfälle

 

Brennelemente:

288.161 Brennelementkugeln, 1,8 t SM entspricht 75 kg Kernbrennstoff

Es gibt Irritationen über den Verbleib von 2.285 Brennelementkugeln. Während der Betreiber diese auf dem Gelände des Forschungszentrums lokalisiert hält das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium eine Einlagerung in der ASSE II für denkbar. [13] Eine andere Möglichkeit ist, dass weitaus mehr Brennelemente als vermutet im Reaktor zermahlen wurden. [14]

Verbringung der Abfälle:

  1. ASSE II: 13.325 Gebinde mit Abfällen insgesamt aus dem FZJ, des AVR und der Landessammelstelle NRW
  1. Davon 101 Fässer mit ca. 50.000 bis 55.000 bestrahlten Graphitkugeln ohne Kernbrennstoff (laut FZJ 2010) mit weit mehr Tritium und C-14 als in der ASSE II zulässig war; deklariert hatte das FZJ die Fässer fälschlicherweise als schwachradioaktiv. Festgestellt wurde die hohe Tritiumkonzentration erst 2008.
    Vorfälle bei der Anlieferung an die ASSE II:
  • 02.12.1971: 70 Fässer falsch und unvollständig deklariert, der Inhalt von ca. 20 % der Rollsickenfässer und Blechtrommeln war nicht verfestigt bzw. nicht mit einer allseitigen mindestens 5 cm starken Betonschicht umgeben.
  • 02.07.1972: 65 von 70 Fässern beanstandet - Betonauskleidung fehlt
  • 06.12.1977: Dosisleistung an der Oberfläche 9,5 mSv/h (angegeben waren 0,5 mSv/h), in 1 m Abstand 0,8 mSv/h (angegeben waren 0,05 mSv/h) [15] 
  1. Morsleben: 113 m³ [16]
  2. AVR-Behälterlager Jülich: 152 Behälter CASTOR® AVR/THTR mit 300.000 Brennelementkugeln, 1,8 t SM entspricht 75 kg Kernbrennstoff
  3. AVR-Reaktorbehälter-Zwischenlager Jülich: Reaktorbehälter
  4. Zwischenlager JEN: Betriebs- und Abrissabfälle

Adressen

 

Betreiber:

Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH
Wilhelm-Johnen-Straße, 52428 Jülich
Tel.: 02461 629-0, Fax: 02461 629-47200
info(at)jen-juelich.de, www.jen-juelich.de 

Behörden:

Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIKE)
Berger Allee 25, 40213 Düsseldorf
Tel.: 0211 61772-0, Fax: 0211 61772-777
poststelle(at)mweimh.nrw.de, www.mweimh.nrw.de

KritikerInnen

Aktionsbündnis Stop Westcastor
c/o Siegfried Faust, Kopernikusstraße 14, 52428 Jülich
siegfried_faust(at)web.de, www.westcastor.org

Quellen:

[1] jen-juelich.de: Über uns, abgerufen 26.03.2023

[2] Wikipedia: AVR Jülich, abgerufen am 26.03.2023)

[3] Jülicher Entsorgungswerk für Nuklearanlagen: Kurzvorstellung der JEN mbH. Präsentation anlässlich des Besuches des Nationalen Begleitgremiums Standortauswahlverfahren. 19.02.2019

[4] Abschlussbericht der AVR-Expertengruppe: „Der Versuchsreaktor AVR – Entstehung, Betrieb, Störfälle“ Kurzfassung vom 26.03.2014

[5] Bundesamt für Strahlenschutz: "Statusbericht zur Kernenergienutzung in der Bundesrepublik Deutschland 2015", Salzgitter Mai 2016

[6] Deutscher Bundestag Stenografisches Protokoll 17/249 vom 26.06.2013, Seite 31867

[7] bfe.de: Kernkraftwerke in Deutschland: Meldepflichtige Ereignisse seit Inbetriebnahme, Stand 31.10.2017, auf der neuen Seite base.bund.de ist der AVR Jülich einfach aus den Listen für meldepflichtige Ereignisse gelöscht worden.

[8] Gesetz- und Verordnungsblatt (GV. NRW.), Ausgabe 2000 Nr. 17 vom 10.4.2000 Seite 249 bis 254: Öffentliche Bekanntmachung einer Genehmigung zum Abbau und sicheren Einschluss des Versuchskernkraftwerks AVR in Jülich - Bescheid Nr. 7/15 (3E) AVR - Vom 14. Februar 2000 Datum der Bekanntmachung: 10. April 2000

[9] Strahlenschutzkommission (SSK): AVR-Versuchskernkraftwerk Jülich Genehmigung 7/16 AVR für den vollständigen Abbau gemäß § 7 Abs. 3 Atomgesetz - Stellungnahme der Strahlenschutzkommission, 9./10.12.2008

[10] Bundesamt für Strahlenschutz: Statusbericht zur Kernenergienutzung in der Bundesrepublik Deutschland 2015. Salzgitter Juli 2016

[11] Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung: Statusbericht zur Kernenergienutzung in der Bundesrepublik Deutschland 2022

[12] Bundesrechnungshof: Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Absatz 2 BHO: Stilllegung und Rückbau kerntechnischer Versuchsanlagen, Kontrollprüfung zur Umsetzung der Beschlüsse des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages Kapitel 3004 Titel 685 80 , 21.12.2021

[13] „Brennelemente vermisst: Wirbel um Atommüll aus Jülich“ RP Online vom 05.04.2011

[14] „Atomare Brennelemente in NRW: Zu Staub zermaheln“ taz vom 04.04.2011

[15] Helmholtz-Zentrum München / PG Jülich: „Asse-Inventar – Abschlussbericht“ vom 31.08.2010

[16] Deutscher Bundestag: Antwort auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ulla Lötzer, Drucksache 17/14270 vom 28.06.2013, Frage 61