Vom Zwischenschritt zur Langzeit-Zwischenlagerung

Ursprünglich nur als Zwischenschritt zur Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelemente geplant, ist die langfristige Zwischenlagerung bestrahlter Brennelemente und hoch radioaktiver Abfälle in oberirdischen Castor-Lagern zum zentralen Baustein des Umgangs mit solchen Abfällen geworden. Mit der Bekanntgabe der Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE), dass die Standortentscheidung für ein tiefengeologisches Lager für die hochradioaktiven Abfälle verschoben und erst zwischen 2046 und 2068 fallen wird, wandelt sich die Zwischenlagerung auch offiziell zu einem langfristigen Aufbewahrungskonzept. Neben den zentralen Zwischenlagern in Ahaus, Gorleben und Greifswald/Lubmin sind zwölf Lager an AKW-Standorten in Betrieb.

Zwischenlagerung als Vorstufe zur Wiederaufarbeitung

Mit der 4. Novelle des Atomgesetzes 1976 wurde die Entsorgung radioaktiver Abfälle erstmals in der Bundesrepublik Deutschland gesetzlich geregelt. In § 9a wurde der „schadlosen Beseitigung“ (Wiederaufarbeitung) abgebrannter Brennelemente Vorrang eingeräumt. Nur wenn dies „nach Stand von Wissenschaft und Technik nicht möglich, wirtschaftlich nicht vertretbar, oder mit den in § 1 Nr. 2 bis 4 bezeichneten Zwecken unvereinbar ist“, durften sie „als radioaktive Abfälle geordnet beseitigt werden.“ [1] ATG 1976 Bestrahlte Brennelemente sollten nur bis zu ihrer Wiederaufarbeitung zwischengelagert werden.

Am 31.03.1977 stellte die Deutsche Gesellschaft für die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) einen Antrag, am Standort Gorleben ein Integriertes Entsorgungszentrum zu errichten. Dieses sollte folgende Anlagen umfassen: Brennelementlagerung, Wiederaufarbeitung, Abfallbehandlung und Abfall-Zwischenlagerung, Uranverarbeitung, Plutonium-Brennelementherstellung, Abfallendbehandlung und übergeordnete Infrastruktur. [2]

Nach anhaltenden Protesten und massiver Kritik stoppte der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht im Mai 1979 die Pläne für ein Integriertes Entsorgungszentrum und erklärte den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) für politisch nicht durchsetzbar. Damit wurde die schnelle Errichtung einer industriellen Wiederaufarbeitungsanlage in Deutschland unrealistisch. (Auf dem Gelände der Kernforschungsanstalt Karlsruhe betrieb die chemische Industrie seit 1971 eine kleine WAA).

Zwischenlagerung für 40 Jahre

Mit dieser Entscheidung wurde offensichtlich, dass die Brennelemente viel länger als geplant zwischengelagert werden mussten. Zudem gewann die direkte Endlagerung als gleichberechtigter Entsorgungsweg an Bedeutung. In den überarbeiteten Entsorgungsgrundsätzen von Bund und Ländern vom 28.09.1979 heißt es dementsprechend: „Es besteht Einvernehmen, daß für eine Übergangszeit die Zwischenlagerungsmöglichkeiten ausgebaut werden müssen. Die Regierungschefs von Bund und Ländern begrüßen, daß die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen weiterhin bereit ist, ein externes Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente aus Leichtwasser-Reaktoren zu übernehmen und dabei davon ausgeht, daß zum Zeitpunkt der ersten Einlagerung von abgebrannten Brennelementen die Aufnahmefähigkeit des Salzstockes in Gorleben gesichert erscheint und die Entscheidung über die anzuwendende Entsorgungstechnik positiv getroffen ist. Sie begrüßen die Bereitschaft auch der Landesregierung von Niedersachsen, ein externes Zwischenlager aufzunehmen. Sie nehmen mit Befriedigung zur Kenntnis, daß einige Länder auch durch Zulassung von Kompaktlagern einen Beitrag zur Entsorgungsvorsorge leisten. Sie stimmen überein, daß die Errichtung weiterer externer Zwischenlager im Laufe der 90er Jahre notwendig werden kann; sie werden dann alles tun, um die Errichtung weiterer Zwischenlager zu gewährleisten.“ [3] 

1978 hatte die DWK am Standort Ahaus ein zentrales Nasslager für die Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente aus den deutschen Atomkraftwerken beantragt. Nach der Aufgabe der WAA Gorleben änderte sie den Antrag in ein Transportbehälterlager, also ein Trockenlager für die längere Zwischenlagerung um. Am 03.04.1980 beantragte sie die Errichtung eines zweiten Transportbehälterlagers, diesmal am Standort Gorleben. Das TBL Ahaus (heute BZA) wurde von 1984-1989, das TBL Gorleben vorher, von 1982-1984 errichtet. Am 25.06.1992 nahm das TBL Ahaus seinen Betrieb mit der Einlagerung der bestrahlten Kugelbrennelemente aus dem THTR Hamm-Uentrop auf. Obwohl früher fertig gestellt, erreichte erst am 25.04.1995 der erste Castor-Transport unter massiven Protesten das TBL Gorleben (heute BZG).

Bei der Antragstellung für die Errichtung eines Enlagers im Salzstock Gorleben 1977 wurde von einer Inbetriebnahme im Jahr 1999 ausgegangen. Als das Zwischenlager Ahaus 1992 seinen Betrieb aufnahm, war klar, dass der Zeitplan obsolet, das Ziel aber weiterhin eine rasche Genehmigung und Inbetriebnahme war. Das TBL Gorleben hat eine Genehmigung bis zum 31.12.2034, das TBL Ahaus bis zum 31.12.2036. So lange sollten die Castor-Behälter halten, also wurde ein Nachweis der Sicherheit und Integrität der Behälter für 40 Jahre geführt.

Zwischenlager Nord: Das dritte zentrale Castor-Lager als Ergebnis der deutsch-deutschen Vereinigung

In der Zwischenzeit war durch die deutsch-deutsche Vereinigung die Menge der aufzubewahrenden radioaktiven Abfälle gewachsen. Am Standort Greifswald/Lubmin mussten fünf Reaktoren zurück gebaut werden, in Rheinsberg einer. Vor 1990 waren die bestrahlten Brennelemente aus der DDR nach Russland zurück transportiert worden. Dieser Weg stand nun nicht mehr offen. Die Energiewerke Nord (EWN), die zu 100 Prozent in Bundesbesitz sind, beantragten 1992 die Errichtung eines Zwischenlagers für alle Arten radioaktiver Abfälle.

Während des Genehmigungsverfahrens wurde von den KritikerInnen eingewendet, dass das Zwischenlager Nord für die Bedarfe von Greifswald und Rheinsberg zu groß dimensioniert wäre. Die Bundesregierung wiegelte ab, die Kapazitäten seien auf die Demontage der AKW in Greifswald und Rheinsberg ausgelegt, eine Selbstverpflichtung zum Ausschluss der Einlagerung überregionaler Abfälle sei deshalb nicht notwendig. [4]  Nach erteilter Genehmigung rückte die EWN davon ab. Mit der 6. Änderungsgenehmigung vom 24.02.2009 erhielt sie erstmals die Erlaubnis, weitere Castoren in Halle 8 einzulagern. Im Dezember 2010 wurden Brennelemente aus dem Schnellen Brüter Karlsruhe (KNK) und dem Nuklearschiff Otto Hahn und im Februar 2011 kernbrennstoffhaltige Abfälle aus der Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe (WAK) nach Lubmin transportiert.

Rot-grüne Standortzwischenlager

Am 30.06.2000 vereinbarte die rot-grüne Bundesregierung mit der Energiewirtschaft die Beendigung der Wiederaufarbeitung im Ausland: „Die Entsorgung radioaktiver Abfälle aus dem Betrieb von KKW wird ab dem 01.07.2005 auf die direkte Endlagerung beschränkt.“ [5] 

Im Gegenzug wurde die zügige Errichtung und Inbetriebnahme von Zwischenlagern für bestrahlte Brennelemente an den Standorten der Atomkraftwerke festgeschrieben. An 12 Standorten entstanden Castor-Lager: BZB Biblis, BZF Brokdorf, SZL Brunsbüttel, BZR Grafenrheinfeld, BZD Grohnde, BZM Gundremmingen, BZI Isar, SBZ Krümmel, BZL Lingen, BZN Neckarwestheim, BZP Philippsburg, BZU Unterweser. Die Genehmigung der Standortzwischenlager wurde auf jeweils 40 Jahre nach der ersten Einlagerung von Castor-Behältern beschränkt. Ursprünglich nur für die Brennelemente aus den jeweiligen AKW vorgesehen, gibt es inzwischen mehrere Aufweichungen. So wurden die Brennelemente aus dem AKW Obrigheim 2017 in das BZN Neckarwestheim eingelagert.

Am 19.06.2015 veröffentlichte die Bundesregierung ihr Konzept zur Rückführung der WAA-Abfälle aus Sellafield (GB) und La Hague (F) [6], was 2021 noch einmal modifiziert wurde [7]. 2020, mitten in der Corona-Pandemie, wurden 6 Behälter aus Sellafield in das BZB Biblis gebracht. Je 7 Castor-Behälter sollen im BZF Brokdorf, und BZI Isar, 4 Behälter im BZP Philippsburg gelagert werden. Im Mai 2023 wurde die Einlagerung der HAW-Castor-Behälter im BZI Isar vom BaSE genehmigt. [8] Die Genehmigungen für Brokdorf und Philippsburg stehen noch aus.

Infolge des Entsorgungsübergangsgesetzes sind alle Brennelement-Zwischenlager - bis auf das SZL Brunsbüttel, das noch keine neue Genehmigung hat - auf die privatwirtschaftlich geführte aber zu 100% staatliche BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung übergegangen.

Langzeit-Zwischenlager - viele ungeklärte Fragen

Schon länger ist klar, dass die hochradioaktiven Abfälle in den Zwischenlagern länger als 40 Jahre verbleiben werden müssen. Mit der Bekanntgabe der Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE), dass die Standortentscheidung für ein tiefengeologisches Lager für die hochradioaktiven Abfälle verschoben und erst zwischen 2046 und 2068 fallen wird, wandelt sich die Zwischenlagerung auch offiziell von einer ursprünglich gedachten kurzfristigen Vorstufe zur Wiederaufarbeitung zu einem langfristigen Aufbewahrungskonzept. Die Entsorgungskommission (ESK) der Bundesregierung unterstellt eine Errichtungsdauer für das Endlager von 20 Jahren und einen Betrieb von 30 Jahren. "Theoretisch", so die ESK, sind Zwischenlagerzeiten "von bis zu 120 Jahren erforderlich, eventuell sogar darüber hinaus" [9] Auf solche Anforderungen sind aber weder die Castor-Behälter noch die Zwischenlagergebäude ausgelegt. 

Bisher ist keine systematische Befassung von Politik, Behörden und der BGZ mit den daraus folgenden Problemen und Aufgaben zu erkennen. Spätestens 2028 kommt jedoch die Bewährungsprobe. Sechs Jahre vor Ende der Aufbewahrungsgenehmigung im BZG Gorleben muss die BGZ den Verbleib der eingelagerten Brennelemente nachweisen. [9] Die ESK verweist darauf, dass es keine einfache Verlängerungsgenehmigung bei den Zwischenlager geben kann, sondern es sich formal und inhaltlich um eine Neugenehmigung handeln würde. Alternativ dazu könnte auch die Errichtung von "Regionallagern" oder eines Zentralllagers in Erwägung gezigen werden. "Nachteilig ist bei einer solchen Lösung, dass sich die Gesamtzahl der Transporte vergrößert, sofern dich das Zentrallager nicht zufällig am Endlagerstandort befindet." [9] Beispielgebend wäre hierfür Gorleben, wo jetzt 113 Castor-Behälter, mittels beispielloser Polizeieinsätze mitten in den Wald verbracht wurden und irgendwann wieder abtransportiert werden müssen.

Quellen

[1] "Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren" in der Fassung vom 31.10.1976

[2] Deutscher Bundestag, Bericht der Bundesregierung zur Situation der Entsorgung der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland (Entsorgungsbericht), Drucksache 8/1281, 30.11.1977

[3] Deutscher Bundestag, Bericht der Bundesregierung zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Einrichtungen, Drucksache 10/327, 30.08.1983

[4] Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht 109. Sitzung, Drucksache 13/109, S. 27ff.

[5] „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000“

[6] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: „Gesamtkonzept zur Rückführung von verglasten radioaktiven Abfällen aus der Wiederaufarbeitung“, Berlin, 19. Juni 2015

[7] BaSE: Rücknahme von radioaktiven Abfällen aus der Wiederaufarbeitung, Oktober 2022

[8] BaSE: Aufbewahrung der Abfälle aus der Wiederaufarbeitung im Zwischenlager Isar genehmigt, 09.05.2023

[9] Entsorgungskommission (ESK): Verlängerte Zwischenlagerung bestrahlter Brennelemente und sonstiger hochradioaktiver Abfälle in Abhängigkeit von der Auswahl des Endlagerstandort - Positionspapier, 23.03.2023